1. Begehrt die klagende Partei die Entfernung einer oder mehrerer Abmahnungen aus der Personalakte, ist im Hinblick auf den zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff durch das Gericht festzustellen, ob die klagende Partei den vermeintlichen Entfernungsanspruch auf die §§ 242, 1004 BGB analog oder auf Art. 17 Abs. 1 DSGVO stützt. Die Anspruchsgrundlagen setzen unterschiedlichen Tatsachenvortrag betreffend den jeweiligen Lebenssachverhalt voraus, wodurch eine Mehrheit von Streitgegenständen vorliegt.

2. Eine beharrliche Weigerung des Arbeitnehmers, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ist „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Dies gilt auch für den Fall, dass sich der Arbeitnehmer weigert, zu einem durch den Arbeitgeber angeordneten einmaligen Personalgespräch im Betrieb zu erscheinen, denn ein solches Gespräch kann im Hinblick auf § 241 Abs. 2 BGB der Erhaltung und Verwirklichung der im Arbeitsverhältnis bestehenden Hauptleistungspflichten dienen. Die Einladung zu einem solchen Gespräch ist grundsätzlich vom Weisungsrecht des Arbeitgebers gemäß § 106 Satz 1 GewO gedeckt. Dem Arbeitgeber kommt diesbezüglich eine gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare Einschätzungsprärogative zu.

3. Im Rahmen des billigen Ermessens gemäß § 106 Satz 1 GewO sind im Hinblick auf die verfassungsrechtlich geschützten Belange des Arbeitnehmers auch die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie zu beachten. Der allgemeine Hinweis auf ein mögliches Infektionsrisiko und die Auswirkungen einer Quarantäne können das Direktionsrecht des Arbeitgebers allerdings nicht einschränken. Dies gilt insbesondere, wenn die Arbeitsleistung bereits aus dem Home-Office heraus erbracht wird und der Arbeitgeber nur zu einem einmaligen Personalgespräch im Betrieb auffordert.

4. § 28b Abs. 4 Satz 1 IfSG in der Fassung vom 24.11.2021 begründet kein subjektives Recht des Arbeitnehmers auf „Home-Office“.

Tenor
1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.12.2021 aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin 89% und die Beklagte 11% zu tragen.

5. Der Streitwert wird auf 38.115,04 Euro festgesetzt.

6. Die Berufung wird gesondert zugelassen.

Tatbestand
Die Parteien streiten vornehmlich über die Rechtswirksamkeit einer arbeitgeberseitigen verhaltensbedingten außerordentlichen Kündigung vom 27.12.2021, einer ordentlichen Kündigung vom 29.12.2021 sowie über die Entfernung von mehreren Abmahnungen aus der Personalakte der Klägerin.

Die am 0.0.1980 geborene Klägerin ist ledig, hat keine Kinder und ist bei der Beklagten seit dem 01.04.2014 als Mitarbeiterin im Bereich Auftragsabwicklung After Sales Service bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40,00 Stunden beschäftigt. Ihr Bruttomonatsgehalt belief sich zuletzt auf ca. 4.750,00 EUR. Wegen der Einzelheiten des streitgegenständlichen Arbeitsvertrages wird auf Anlage K1 der Klageschrift vom 04.01.2022, entsprechend Bl. 6 ff. d.A., Bezug genommen. Die Klägerin war im Rahmen ihrer Tätigkeit für das Gebiet Süd mit drei Servicetechnikern zuständig. Das Gebiet Süd ist hierbei das größte Gebiet der Beklagten. Etwa 25% der zu bearbeitenden Servicemeldungen entfallen auf dieses Gebiet. Die Klägerin erbrachte ihre Arbeitsleistung für die Beklagte seit etwa November 2020 aus dem Home-Office heraus. Unternehmensgegenstand der Beklagten ist die Herstellung von …. Die Beklagte beschäftigt in ihrem Betrieb mehr als 10 Arbeitnehmer in Vollzeit ausschließlich der Auszubildenden. Die Beklagte ist betrieblich verfasst.

Mit Schreiben vom 27.12.2021, welches der Klägerin am 28.12.2021 zuging, kündigte die Beklagte das zwischen ihr und der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos.

Mit Schreiben vom 29.12.2021, welches der Klägerin am 29.12.2021 zuging, kündigte die Beklagte zudem das zwischen ihr und der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.03.2022.

Am 16.11.2021 fand bei der Beklagten ein sogenannter Shopfloor-ASS statt. Jener Shopfloor dient bei der Beklagten als Medium, um in einem wöchentlichen Rhythmus die Soll- und Ist-Situation der jeweiligen Abteilung zu besprechen. Des Weiteren werden Optimierungsmöglichkeiten, die Auslastung der jeweiligen Gebiete, sowie mögliche Unterstützungsmaßnahmen besprochen. Thema können schließlich auch Produktänderungen und hiermit zusammenhängende Fehler sein sowie die Frage, wie diese durch die Servicetechniker oder den Innendienst der Beklagten beseitigt werden können. Schließlich dient ein solcher Shopfloor auch dazu, die effiziente Planung und Kontrolle sowie die Optimierung des Informationsflusses zu besprechen.

Die Klägerin sprach im Shopfloor vom 16.11.2021 gewisse Themen an und äußerte, in welchen Bereichen Verbesserungsbedarf bestünde. Auch sprach die Klägerin an, dass sie es als problematisch ansehe, dass sich einzelne Mitarbeiter der Beklagten die am schnellsten zu erledigenden Tickets heraussuchen würden, um möglichst hohe Zahlen aufzuweisen. Die weiteren Einzelheiten dieses Gespräches sind zwischen den Parteien des Rechtsstreits streitig.

Bereits am 11.11.2021 kontaktierte der Vorgesetzte der Klägerin, Herr S., diese per E-Mail und konfrontierte sie mit den Zahlen ihres Gebiets. Er hielt der Klägerin vor, dass sie an den Tagen, an welchen sie vom Telefondienst freigestellt sei, zu wenige Tickets bearbeite. Die Klägerin antwortete mit E-Mail vom 12.11.2021 und teilte mit, dass sie mit der Bearbeitung von Tickers zurzeit nicht im Rückstand sei. Die Klägerin sprach des Weitern an, dass sich einige Mitarbeiter die einfachsten Tickets heraussuchten, um eine hohe Zahl von bearbeiteten Tickets zu erzielen. Mit E-Mail vom 12.11.2021 antwortete der Vorgesetzte der Klägerin nochmals, um bei der Klägerin zu erfragen, ob die von ihm zugrunde gelegte Auswertung der Zahlen als Diskussionsgrundlage dienen könne und ob bei der Unterstützung der Klägerin und den korrespondierenden Maßnahmen nachgebessert werden müsste. Herr S. teilte der Klägerin schließlich mit, dass er ein Feedback der Klägerin spätestens im Shopfloor am 16.11.2021 erwarte.

Im Anschluss an den Shopfloor vom 16.11.2021 erhielt die Klägerin am 17.11.2021 – 18:04 Uhr – durch Herrn S. eine Outlook-Termineinladung (Betreff: „Folgetermin Diskussion aus SF“), mit welcher Herr S. die Klägerin zu einem Folgetermin einlud. Herr S. forderte die Klägerin auf, bis zum 19.11.2021 eine Präsentation zur Wirksamkeit von Unterstützungsmaßnahmen entsprechend seiner E-Mail vom 12.11.2021 vorzubereiten. Auch sollte die Klägerin ihre im Shopfloor vom 16.11.2021 geäußerte Kritik nochmals anhand von einigen Folien konkretisieren. Schließlich wies er die Klägerin darauf hin, dass der Termin persönlich im Betrieb der Beklagten stattfinden solle.

Die Klägerin reagierte mit E-Mail vom 18.11.2021 – 9:26 Uhr – und teilte mit, dass sie an dem Termin persönlich nicht teilnehmen werde und verwies darüber hinaus im Hinblick auf die Corona-Situation auf eine E-Mail vom 17.11.2021, welche sie an die bei der Beklagten beschäftigte Frau K. geschickt hatte. Wegen der Einzelheiten der E-Mail vom 18.11.2021 – 9:26 Uhr – wird auf Anlage B2 des Schriftsatzes der Beklagten vom 19.01.2022, entsprechend Bl. 27 f. d.A., Bezug genommen. Die Klägerin wandte sich bereits mit E-Mail vom 17.11.2021 – 16:44 Uhr – an die bei der Beklagten beschäftigte Teamleiterin Frau K., da Herr S. mit E-Mail vom 17.11.2021 – 16:15 Uhr – (Betreff: „Crona-Update ID bis Jahresende)“, die Beschäftigten auf das Corona-Update der Beklagten aus dem Intranet vom 10.11.2021 aufmerksam gemacht hatte. Bei diesem Corona-Update handelt es sich um ein Hinweisschreiben zur konsequenten Umsetzung der geltenden Regelungen, unterteilt in die Punkte „AHA-Regeln einhalten“, „Kontakte reduzieren“ und „Risiko reduzieren“. In dieser Mail an Frau K. (17.11.2021 – 16:44 Uhr) teilte die Klägerin mit, dass sich die Corona-Situation keineswegs gebessert habe und dass es ihr aufgrund der äußerst dramatischen Situation und aus persönlichen Gründen nicht möglich sei in die Firma zu kommen. Schließlich äußerte sie, dass sie darüber auch nicht verhandeln werde.

Mit E-Mail vom 18.11.2021 – 13:31 Uhr – antwortete Herr S. und teilte mit, dass er die Klägerin weiterhin zum Gespräch erwarte und dass das Gespräch im sehr großen Raum A. im Campus stattfinden werde. Wegen der Einzelheiten der E-Mail vom 18.11.2021 – 13:31 Uhr – wird auf Anlage B2 des Schriftsatzes der Beklagten vom 19.01.2022, entsprechend Bl. 27 d.A., Bezug genommen. Darauf antwortete die Klägerin nochmals mit E-Mail vom 18.11.2021 – 15:02 Uhr – und teilte mit, dass ihr ihre Gesundheit sehr wichtig sei und sie keine Gefahr für sich oder andere eingehen werde. Wegen der Einzelheiten der E-Mail vom 18.11.2021 – 15:02 Uhr – wird auf Anlage B2 des Schriftsatzes der Beklagten vom 19.01.2022, entsprechend Bl. 26 f. d.A., Bezug genommen.

Die Klägerin erschien sodann, wie angekündigt, am 19.11.2021 nicht zu dem Termin im Betrieb der Beklagten. Zusätzlich erhielt die Klägerin am 19.11.2021 ein mit „Ermahnung“ überschriebenes Schreiben der Beklagten bezüglich ihres Verhaltens im Shopfloor am 16.11.2021. Wegen der Einzelheiten dieser „Ermahnung“ vom 19.11.2021 wird auf Anlage B1 des Schriftsatzes der Beklagten vom 19.01.2022, entsprechend Bl. 25 d.A., Bezug genommen.

Am 23.11.2021 erhielt die Klägern ein mit „Abmahnung“ überschriebenes Schreiben der Beklagten bezüglich ihres Nichterscheinens zum Termin am 19.11.2021. Wegen der Einzelheiten dieser „Abmahnung“ vom 23.11.2021 wird auf Anlage B3 des Schriftsatzes der Beklagten vom 19.01.2022, entsprechend Bl. 29 d.A., Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 27.11.2021 übersandte die Klägerin der Beklagten ein Widerspruchsschreiben gegen die Abmahnung vom 23.11.2021. Mit diesem Schreiben äußerte die Klägerin gegenüber der Beklagten, dass sie die Abmahnung nicht für richtig halte. Aufgrund der aktuellen Warnungen der Bundesregierung und der Experten zur Corona-Situation sei die Gefahr für ihre Gesundheit zu hoch. Deswegen habe sie den Termin am 19.11.2021 nicht wahrnehmen können. Wegen der Einzelheiten dieses „Widerspruchs“ vom 27.11.2021 wird auf Anlage B4 des Schriftsatzes der Beklagten vom 19.01.2022, entsprechend Bl. 30 f. d.A., Bezug genommen. Mit Schreiben vom 27.11.2021 übersandte die Klägerin der Beklagten auch ein Widerspruchsschreiben gegen die Ermahnung vom 19.11.2021. Mit diesem Schreiben äußerte die Klägerin gegenüber der Beklagten, dass sie die Ermahnung für nicht berechtigt halte. Wegen der Einzelheiten dieses „Widerspruchs“ vom 27.11.2021 wird auf Anlage K5 des Schriftsatzes der Klägerin vom 21.02.2022, entsprechend Bl. 79 ff. d.A., Bezug genommen.

Die Beklagte lud die Klägerin sodann zu einem erneuten Präsenztermin für Freitag den 03.12.2021 ein. Die Klägerin reagierte mit E-Mail vom 01.12.2021 – 17:22 Uhr – und teilte mit, dass sie bereit sei, an dem Termin per Zoom teilzunehmen, da sie bereits seit einem Jahr von zu Hause arbeite und alle Gespräche bislang per Zoom durchgeführt worden seien. Wegen der Einzelheiten der E-Mail vom 01.12.2021 – 17:22 Uhr – wird auf Anlage B5 des Schriftsatzes der Beklagten vom 19.01.2022, entsprechend Bl. 32 d.A., Bezug genommen.

Die Klägerin erschien sodann, wie angekündigt, am 03.12.2021 nicht zu dem Termin im Betrieb der Beklagten. Am 06.12.2021 erhielt die Klägern ein mit „letzte Abmahnung“ überschriebenes Schreiben der Beklagten bezüglich ihres Nichterscheinens zum Termin am 03.12.2021. Wegen der Einzelheiten dieser „Abmahnung“ vom 06.12.2021 wird auf Anlage B6 des Schriftsatzes der Beklagten vom 19.01.2022, entsprechend Bl. 33 d.A., Bezug genommen.

Die Beklagte lud die Klägerin sodann zu einem erneuten Präsenztermin für Freitag den 10.12.2021 ein. Da die Klägerin allerdings im Zeitraum vom 06.12.2021 bis einschließlich zum 17.12.2021 arbeitsunfähig erkrankt war, konnte dieser Termin nicht stattfinden. Die Beklagte lud die Klägerin schließlich am 20.12.2021, nachdem diese wieder gesundet war, zu einem erneuten Präsenztermin für den 21.12.2021. Mit diesem Schreiben wies die Beklagte die Klägerin nochmals darauf hin, dass das Corona-Sicherheitskonzept einen persönlichen Termin zulasse und dass die jüngsten Ereignisse einen persönlichen Termin auch erforderlich machten. Wegen der Einzelheiten dieser „Einladung“ vom 20.12.2021 wird auf Anlage B7 des Schriftsatzes der Beklagten vom 19.01.2022, entsprechend Bl. 34 d.A., Bezug genommen.

Die Klägerin erschien sodann am 21.12.2021 nicht zu dem Termin im Betrieb der Beklagten.

Die Beklagte hörte den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung unter dem 21.12.2021 sowohl zu einer beabsichtigen fristlosen Kündigung der Klägerin als auch zu einer beabsichtigen fristgemäßen Kündigung der Klägerin an. Wegen der Einzelheiten dieser Anhörungen wird auf die Anlagen B9 und B10 des Schriftsatzes der Beklagten vom 14.03.2022, entsprechend Bl. 105 ff. d.A., Bezug genommen. Darüber hinaus kontaktierte die Klägerin mit E-Mail vom 27.11.2021 den Vorsitzenden des Betriebsrats und leitete ihm sowohl den Widerspruch gegen die Ermahnung vom 19.11.2021 als auch den Widerspruch gegen die Abmahnung vom 23.11.2021 weiter, verbunden mit der Aufforderung, den Sachverhalt nochmals zu prüfen. Der Vorsitzende des Betriebsrats antwortete am 28.11.2021 auf die E-Mail der Klägerin und teilte mit, dass er den Widerspruch sowohl gegen die Ermahnung als auch gegen die Abmahnung gut finde und er gerne nochmals mit der Klägerin sprechen würde. In einem sich anschließenden Telefonat zwischen der Klägerin und dem Vorsitzenden des Betriebsrats gab die Klägerin nochmals zu verstehen, dass sie aufgrund der aktuellen Corona-Situation Angst habe, in den Betrieb zu kommen und auch persönliche Gründe vorlägen, warum sie nicht in den Betrieb kommen könne. Mit Schreiben vom 22.12.2021 gab der Betriebsrat eine Stellungnahme zur fristgemäßen Kündigung ab und teilte mit, dass gegen die beabsichtigte fristgemäße Kündigung keine Bedenken bestünden. Wegen der Einzelheiten dieser Stellungnahme wird auf Anlage B11 des Schriftsatzes der Beklagten vom 14.03.2022, entsprechend Bl. 109 f. d.A., Bezug genommen. Mit Schreiben vom 22.12.2021 gab der Betriebsrat zudem eine Stellungnahme zur fristlosen Kündigung ab und teilte mit, dass gegen die beabsichtigte fristlose Kündigung Bedenken bestünden. Wegen der Einzelheiten dieser Stellungnahme wird auf Anlage B12 des Schriftsatzes der Beklagten vom 14.03.2022, entsprechend Bl. 111 f. d.A., Bezug genommen.

Die Klägerin hält sowohl die außerordentliche als auch die ordentliche Kündigung für ungerechtfertigt und somit rechtsunwirksam. Sie greift die Kündigungen mit der am 04.01.2022 beim Arbeitsgericht Heilbronn – Kammern Crailsheim – eingegangenen Kündigungsschutzklage an.

Die Klägerin behauptet,

ihre Mutter, welche 68 Jahre sei, habe sich gegen Ende Oktober 2018 aufgrund einer festgestellten Krebserkrankung einer Operation unterziehen müssen. Diese Operation sei zunächst positiv verlaufen. Nach einem Aufenthalt von 1-2 Wochen im Krankenhaus sei es allerdings zu Komplikationen gekommen. Diese Komplikationen hätten schließlich in einer Notoperation gemündet. Aufgrund der Notoperation und der Krebserkrankung lebe ihre Mutter seither mit einem Bauchwanddurchbruch und sei grundsätzlich auf ihre Hilfe angewiesen. Auf eine Pflegekraft sei ihre Mutter allerdings nicht angewiesen. Die Klägerin behauptet daran anschließend des Weiteren, dass sie ungefähr ein- bis zweimal pro Woche mit ihrer Mutter einkaufen gehe und die Einkäufe danach in die Wohnung ihrer Mutter, welche sich in der zweiten Etage befinde, trage. Auch sei es für ihre Mutter aus sozialen Gesichtspunkten wichtig, dass sie Zeit mit ihr verbringe, da ihre Mutter durch die Krebserkrankung ein Trauma erlitten habe. Schließlich müsse ihre Mutter aufpassen, dass sie nicht an einer Erkältung oder einer Grippe erkranke, da bei möglichen Hustenanfällen der Druck auf den Bauch erhöht werde, sodass die Gefahr bestünde, dass sich der Gesundheitszustand ihrer Mutter verschlechtere. Schließlich behauptet die Klägerin, dass auch ihr Vorgesetzter, Herr S., von der Erkrankung ihrer Mutter gewusst habe.

Bezogen auf ihren Lebensalltag außerhalb des bestehenden Arbeitsverhältnisses behauptet die Klägerin, dass sich ihr soziales Leben nahezu ausschließlich zu Hause oder in der freien Natur abspielen würde. Sie gehe allenfalls in den Wald joggen oder Fahrrad fahren. Sie gehe seit dem Beginn der Pandemie im März 2020 nicht mehr zu Veranstaltungen. Sie gehe nicht mehr ins Kino, nicht mehr in Diskotheken oder Bars, nicht mehr in Restaurants, nicht mehr ins Schwimmbad und mit Ausnahme der Supermarktbesuche auch nicht mehr in andere Geschäfte.

Die Klägerin ist der Ansicht,

die Weisungen der Beklagten bezüglich des Erscheinens zu einem persönlichen Gespräch im Betrieb der Beklagten entsprachen nicht billigem Ermessen. Die Klägerin ist der Ansicht, dass es ihr aus persönlichen Gründen nicht zumutbar gewesen sei, zu diesen Präsenzterminen zu erscheinen. Für den Fall einer Infektion mit dem Coronavirus hätte sie sich in häusliche Isolation begeben müssen, was dazu geführt hätte, dass sie für ihre kranke Mutter nicht mehr hätte einkaufen gehen können. Zudem hätte zusätzlich die Gefahr bestanden, dass sie sich aufgrund einer Infektion von Kontaktpersonen hätte in Quarantäne begeben müssen, was wiederum dazu geführt hätte, dass sie sich nicht um ihre Mutter hätte kümmern können. Diesbezüglich führt die Klägerin vertiefend aus, dass auch ihre Schwester, die ungefähr 20 Kilometer von ihrer Mutter entfernt wohne, die Einkäufe nicht hätte übernehmen können, da sie drei kleine Kinder zu versorgen habe. Die Ablehnung der Einladungen stelle somit keinen Verstoß gegen die Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis dar.

Schließlich ist die Klägerin der Ansicht, sie habe gemäß §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB einen Anspruch auf Entfernung der Ermahnung vom 19.11.2021 und der Abmahnungen vom 23.11.2021 und 06.12.2021. Sowohl die Ermahnung vom 19.11.2021 als auch die beiden Abmahnungen seien bereits aus formalen Gründen unwirksam, da das vorgeworfene Verhalten nicht hinreichend deutlich beschrieben worden sei. Des Weiteren enthalte der Vorwurf aus der Ermahnung vom 19.11.2021 unrichtige Tatsachenbehauptungen, was wiederum zu einem Entfernungsanspruch führe.

Nachdem die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 23.03.2022 erklärt hat, dass eine Arbeitsbescheinigung gemäß § 312 SGB III bereits erteilt wurde, hat die Klägerin den Rechtsstreit betreffend den ursprünglich mit Schriftsatz vom 20.01.2022 angekündigten Antrag zu Ziffer 7 (Arbeitsbescheinigung gemäß § 312 SGB III) für erledigt erklärt. Dieser Erledigungserklärung hat sich die Beklagte angeschlossen.

Die Klägerin beantragt zuletzt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.12.2021, der Klägerin zugegangen am 28.12.2021, aufgelöst worden ist;

2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die eine in der außerordentlichen Kündigung der Beklagten vom 27.12.2021 enthaltene ordentliche Kündigung, der Klägerin zugegangen am 28.12.2021, aufgelöst worden ist;

3. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29.12.2021, der Klägerin zugegangen am 29.12.2021, aufgelöst worden ist;

4. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Arbeitsbedingungen über den 28.12.2021 hinaus fortbesteht;

5. hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1.), die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Auftragsabwicklung After Sales Service weiter zu beschäftigen;

6. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ein qualifiziertes Zwischenzeugnis, hilfsweise ein Endzeugnis zu erteilen;

7. die Beklagte zu verurteilen, die der Klägerin mit Schreiben vom 19.11.2021 erteilte Ermahnung zurückzunehmen und aus der Personalakte zu entfernen;

8. die Beklagte zu verurteilen, die der Klägerin mit Schreiben vom 23.11.2021 erteilte Abmahnung zurückzunehmen und aus der Personalakte zu entfernen;

9. die Beklagte zu verurteilen, die der Klägerin mit Schreiben vom 06.12.2021 erteilte Abmahnung zurückzunehmen und aus der Personalakte zu entfernen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet,

die Klägerin hätte im Shopfloor vom 16.11.2021 gegenüber ihrem Vorgesetzten Herr S. behauptet, er würde unangenehme Diskussionen scheuen.

Die Beklagte ist der Ansicht,

bereits die streitgegenständliche außerordentliche Kündigung vom 27.12.2021 sei sozial gerechtfertigt, da sich die Klägerin dreimal in nicht hinzunehmender Art und Weise geweigert habe, einer berechtigten und begründeten Weisung der Beklagten nachzukommen und zu den angeordneten Terminen trotz teilweiser vorheriger Mahnung inklusive Androhung von arbeitsrechtlichen Konsequenzen nicht erschienen ist. Die streitgegenständlichen Weisungen entsprächen ausgehend von § 106 GewO billigem Ermessen. Auch wenn die Klägerin zum Zeitpunkt der Weisungen aus dem Home-Office heraus gearbeitet habe, bedeute das nicht, dass sie sich einem Verlangen der Beklagten bezüglich eines Personalgesprächs im Betrieb hätte widersetzen dürfen. Man sei aufseiten der Beklagten davon ausgegangen, dass sich in einem persönlichen Gespräch im Betrieb alle Meinungsverschiedenheiten klären würden. Auch eine mögliche Erkrankung der Mutter und die Dienste der Klägerin seien kein Grund sich einem angeordneten einmaligen Gespräch im Betrieb zu entziehen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird im Übrigen gemäß § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf die gewechselten Schriftsätze mit Anlagen sowie auf die Protokolle über die mündlichen Verhandlungen Bezug genommen. Eine Beweisaufnahme fand nicht statt.

Gründe
Die Klage ist nur teilweise zulässig und begründet.

Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a, b u. e ArbGG eröffnet.

I.

Die Klage ist nur teilweise zulässig. Der Klageantrag zu Ziffer 4 ist bereits aufgrund des fehlenden besonderen Feststellungsinteresses unzulässig.

1. Der Streitgegenstand ist gemäß §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmt. Die Klägerin wehrt sich punktuell gegen die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.12.2021 sowie die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29.12.2021 und verlangt daran anschließend ihre Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses als Mitarbeiterin im Bereich Auftragsabwicklung After Sales Service. Ergänzt wird ihr Begehren durch den allgemeinen Feststellungsantrag gerichtet auf die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis zu unveränderten Bedingungen über den 28.12.2021 hinaus fortbesteht. Streitgegenstand der allgemeinen Feststellungsklage ist dabei der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (BAG, Urteil vom 18.12.2014 – 2 AZR 163/14, NZA 2015, 635). Zudem wehrt sich die Klägerin punktuell gegen die Entfernung der Ermahnung vom 19.11.2021, die Entfernung der Abmahnung vom 23.11.2021 und die Entfernung der Abmahnung vom 06.12.2021 gemäß §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog. Nach Auslegung dieser Entfernungsanträge gemäß §§ 133, 157 BGB analog ist die Kammer im Hinblick auf den zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff, welcher sich durch den Klageantrag und den ihm zugrundeliegenden Lebenssachverhalt auszeichnet (BAG, Urteil vom 25.06.2020 – 8 AZR 75/19, NZA 2020, 1626), zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin ihre Ansprüche auf Entfernung der streitgegenständlichen Abmahnungen lediglich auf diese Normen (§§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB) stützt. Somit hat die Klägerin gemäß § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Entfernung der Abmahnungen auch nur aufgrund dieser Normen zur Entscheidung gestellt. Eine mögliche Entfernung der Abmahnungen gemäß Art. 17 Abs. 1 DSGVO hat die Klägerin allerdings nicht zur Entscheidung gestellt, sodass die Kammer gemäß § 308 Abs. 1 Satz 2 ZPO hierüber auch nicht zur Entscheidung befugt ist. Bei der Entfernung gründend auf Art. 17 Abs. 1 DSGVO und der Entfernung gründend auf §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB handelt es sich auch um eine Mehrheit von Streitgegenständen, da die Anspruchsgrundlagen unterschiedlichen Tatsachenvortrag zu dem jeweiligen Lebenssachverhalt erfordern (BAG, Urteil vom 20.09.2017 – 6 AZR 474/16, NJW 2018, 805).

2. Das gemäß § 256 ZPO erforderliche besondere Feststellungsinteresse bezüglich des Antrages zu Ziffer 1, 2 und 3 ergibt sich aus der zwingenden Folgerung in § 7 KSchG (BAG, Urteil vom 11.2.1981 – 7 AZR 12/79, AP KSchG 1969 § 4 Nr.8). Bezüglich des Antrags zu Ziffer 4 fehlt das besondere Feststellungsinteresse, denn dieses ist nicht bereits dann gegeben, wenn eine Kündigung ausgesprochen worden ist und ihretwegen ein Rechtsstreit anhängig ist. Der allgemeine Feststellungsantrag ist gemäß § 256 ZPO vielmehr nur dann zulässig, wenn der Arbeitnehmer weitere Beendigungstatbestände darlegen kann (Kiel in ErfK, KSchG, 22. Auflage 2022, § 4 Rn. 34). Da die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 23.03.2022 erklärt hat, dass über die streitgegenständlichen Kündigungen vom 27.12.2021 und 29.12.2021 hinaus keine weiteren Beendigungstatbestände im Raum stehen und die Klägerin weitere Beendigungstatbestände auch nicht angeführt hat, musste der allgemeine Feststellungsantrag aufgrund des fehlenden besonderen Feststellungsinteresse abgewiesen werden.

3. Die durch die Schriftsätze der Klägerin vom 20.01.2022 und 21.02.2022 entstandene nachträgliche, objektive, kumulative Klagehäufung ist gemäß §§ 261 Abs. 2, 260 ZPO zulässig. Aus § 261 Abs. 2 ZPO folgt die grundsätzliche Zulässigkeit der nachträglichen Klagehäufung. Die darin zugleich liegende Klageänderung (BGH, Urteil vom 19.03.2004 – V ZR 104/03, NJW 2004, 2152) ist zulässig, da die Beklagte sich gemäß § 267 ZPO in der mündlichen Verhandlung vom 23.03.2022 auf die abgeänderte Klage eingelassen hat. Des Weiteren wäre vorliegend auch bei fehlender Einwilligung die gemäß § 263 Alt. 2 ZPO geforderte Sachdienlichkeit gegeben, denn der jeweilige bisherige Prozessstoff wäre verwertbar gewesen, wodurch ein weiterer Rechtsstreit vermieden worden wäre. Es steht der Klägerin auch frei, mehrere Anträge in einer Klage zu verbinden. Dies gemäß § 260 ZPO immer dann gestattet, wenn bei Identität der Parteien für sämtliche Ansprüche das Prozessgericht zuständig ist, dieselbe Prozessart zulässig ist und kein Verbindungsverbot besteht. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben.

4. Im Hinblick auf den durch die Klägerin zunächst angekündigten Antrag bezüglich der Arbeitsbescheinigung gemäß § 312 SGB III folgt die Zulässigkeit der Antragsbeschränkung aus der im Zivilprozess herrschenden Dispositionsmaxime in Verbindung mit § 264 Nr. 2 ZPO. Die Parteien des Rechtsstreits sind jederzeit befugt, dem Gericht die Entscheidungskompetenz über einen Streitgegenstand durch übereinstimmende Erledigungserklärung zu entziehen.

5. Die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts beruht auf §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 29 ZPO. Die sachliche Zuständigkeit beruht auf § 8 Abs. 1 ArbGG.

II.

Die Klage ist nur teilweise begründet.

1. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.12.2021 vermochte das zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestehende Arbeitsverhältnis nicht gemäß § 626 Abs. 1 BGB mit ihrem Zugang (28.12.2021) zu beenden. Das streitgegenständliche Arbeitsverhältnis ist vielmehr erst durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29.12.2021 gemäß §§ 622 Abs. 1 u. 6, 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG in Verbindung mit § 11 des Arbeitsvertrages mit Ablauf des 31.03.2022 beendet worden.

a) Zwischen den Parteien galten zum Kündigungszeitpunkt die Vorschriften des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes. Die Klägerin war gemäß § 1 Abs. 1 KSchG länger als sechs Monate bei der Beklagten beschäftigt und die Beklagte betreibt keinen Kleinbetrieb gemäß § 23 Abs. 1 KSchG. Die maßgebliche 3-wöchige Klageerhebungsfrist hat die Klägerin betreffend die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.12.2021 durch den Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG gewahrt, sodass die außerordentliche Kündigung vom 27.12.2021 nicht nach den §§ 4,7 KSchG als rechtswirksam gilt.

b) Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.12.2021 vermochte das zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestehende Arbeitsverhältnis nicht gemäß § 626 Abs. 1 BGB mit ihrem Zugang (28.12.2021) zu beenden. Das Arbeitsverhältnis ist vielmehr erst durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29.12.2021 mit Ablauf des 31.03.2022 beendet worden.

aa) Ein wichtiger Grund im Sinne der Generalklausel des § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung liegt dann vor, wenn Tatsachen gegeben sind, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung nicht zugemutet werden kann. Dabei vollzieht sich die Überprüfung einer außerordentlichen Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB in zwei Stufen (BAG, Urteil vom 27.06.2019 – 2 AZR 50/19, NZA 2019, 1345; BAG, Urteil vom 22.10.2015 – 2 AZR 569/14, NZA 2016, 417; BAG, Urteil vom 24.03.2011 – 2 AZR 282/10, NZA 2011, 1029; LAG Rheinland-Pflaz, Urteil vom 31.08.2020 – 3 Sa 56/20, BeckRS 2020, 44836). Zunächst ist zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne besondere Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Hierbei handelt es sich um einen Negativfilter mit der Konsequenz, dass bereits auf dieser Prüfungsebene Gründe herausfallen, welche eine außerordentliche Kündigung von vornherein nicht gemäß § 626 Abs. 1 BGB rechtfertigen können (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 31.08.2020 – 3 Sa 56/20, BeckRS 2020, 44836). Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht. In einer Gesamtwürdigung ist das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG, Urteil vom 27.06.2019 – 2 AZR 50/19, NZA 2019, 1345; BAG, Urteil vom 22.10.2015 – 2 AZR 569/14, NZA 2016, 417; BAG, Urteil vom 23.10.2014 – 2 AZR 865/13, NZA 2015, 353; BAG, Urteil vom 24.03.2011 – 2 AZR 282/10, NZA 2011, 1029).

bb) Voraussetzung für eine fristlose Kündigung ist daher zunächst das Vorliegen eines Sachverhalts, der „an sich“ objektiv geeignet ist, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Der wichtige Grund wird dabei durch objektiv vorliegende Tatsachen bestimmt, die an sich geeignet sind, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar zu machen. Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ist daher jeder Sachverhalt, der objektiv das Arbeitsverhältnis mit dem Gewicht eines wichtigen Grundes belastet.

(1) Die beharrliche Weigerung der Klägerin, zu einem einmaligen Personalgespräch im Betrieb der Beklagten zu erscheinen ist „an sich“ geeignet, selbst eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs der streitgegenständlichen Vorfälle und der beharrlichen Weigerung der Klägerin zu einem Personalgespräch im Betrieb der Beklagten zu erscheinen liegt eine schwerwiegende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat rechtswidrig die Arbeitsleistung verweigert, welche zuvor durch die Weisung der Beklagten im Betrieb zu einem Personalgespräch zu erscheinen im Hinblick auf die bestehenden leistungssichernden Neben- und Verhaltenspflichten konkretisiert worden ist.

(2) Die beharrliche Weigerung eines Arbeitnehmers, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ist „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ein Arbeitnehmer verweigert die ihm angewiesene Arbeit beharrlich, wenn er sie bewusst und nachdrücklich nicht leisten will. Ob er zur Arbeitsleistung verpflichtet war, entscheidet sich nach der objektiven Rechtslage. Verweigert der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als unzutreffend erweist (BAG, Urteil vom 28.06.2018 – 2 AZR 436/17, NZA 2018, 1259; BAG, Urteil vom 14.12.2017 – 2 AZR 86/17, NZA 2018, 646; BAG, Urteil vom 22.10.2015 – 2 AZR 569/14, NZA 2016, 417; BAG, Urteil vom 29.08.2013 – 2 AZR 273/12, NZA 2014, 533). Im Hinblick auf das Prognoseprinzip ist dabei zuvorderst zu würdigen, ob zu besorgen ist der Arbeitnehmer werde auch in Zukunft seiner Arbeitspflicht nicht nachkommen. Die beharrliche Arbeitsverweigerung setzt dabei einen gewissen Grad von Nachhaltigkeit voraus. Der Arbeitnehmer muss die ihm übertragenen Arbeiten bewusst und nachhaltig nicht leisten wollen, wobei es nicht genügt, dass der Arbeitnehmer eine rechtmäßige Weisung unbeachtet lässt. Voraussetzung ist vielmehr, dass eine intensive Weigerung des Arbeitnehmers vorliegt. Eine Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung scheidet schließlich dann aus, wenn der Arbeitnehmer berechtigt war, Arbeiten abzulehnen, die der Arbeitgeber ihm unter Überschreitung des Direktionsrechts zugewiesen hat (BAG, Urteil vom 24.02.2011 – 2 AZR 636/09, NZA 2011, 1087; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 31.08.2020 – 3 Sa 56/20, BeckRS 2020, 44836).

Unter Anwendung der vorbezeichneten Grundsätze erweist sich das streitgegenständliche Verhalten der Klägerin als beharrliche Arbeitsverweigerung. Im Zeitraum vom 17.11.2021 bis einschließlich 21.12.2021, somit im Zeitraum von ungefähr einem Monat, ist die Klägerin insgesamt dreimal nicht zum Personalgespräch erschienen. Hieraus lässt sich im Hinblick auf das Prognoseprinzip die Gefahr ableiten, die Klägerin werde auch in Zukunft ihrer Verpflichtung zur Arbeitsleistung nicht nachkommen. Dabei hat die Kammer bezüglich der geforderten Beharrlichkeit und der daraus resultierenden negativen Fortführungsprognose nicht nur den engen zeitlichen Zusammenhang berücksichtigt. Von Entscheidungsrelevanz war vielmehr auch die Art und Weise der Zurückweisung der jeweiligen Einladung seitens der Klägerin. Bereits mit E-Mail vom 18.11.2021 – 9:26 Uhr – teilte die Klägerin mit, dass sie persönlich an dem Termin nicht teilnehmen werde. Dabei belässt sie es aber nicht bei dieser Aussage. Vielmehr droht die Klägerin ihrem Vorgesetzten, Herrn S., zusätzlich damit, gegen ihn persönliche Schritte einzuleiten. Auch in ihrem Widerspruch gegen die Abmahnung der Beklagten vom 23.11.2021 beschränkt sich die Klägerin nicht darauf, die aus ihrer Sicht bestehende Rechtswidrigkeit der Abmahnung vom 23.11.2021 darzustellen. Vielmehr wirft die Klägerin der Beklagten in diesem Widerspruchsschreiben zugleich vor, gegen die Fürsorgepflicht, die Arbeitsschutzverordnung, das Infektionsschutzgesetz und das Arbeitsschutzgesetz zu verstoßen. Dabei setzt sie sich mit den von ihr verwendeten Rechtsbegriffen allerdings nicht dezidiert auseinander. Für die Kammer ist deswegen der Eindruck entstanden, dass die Klägerin diese Begriffe gezielt eingesetzt hat, um Druck auf die Beklagte auszuüben. Dies wird zuvorderst auch dadurch deutlich, dass die Klägerin erneut ausdrücklich die Frage aufwirft, ob die persönliche Haftung im Schadensfalle durch die Beklagte übernommen werde. Abschließend wirft die Klägerin ihrem Vorgesetzten, Herrn S., mit E-Mail vom 01.12.2021 nochmals ausdrücklich vor, sie seit Tagen zu nötigen und zu versuchen psychischen Druck auszuüben. Dabei verkennt die Klägerin bei der Art und Weise ihrer Zurückweisungen, dass das Weisungsrecht gemäß § 106 GewO dem Arbeitgeber bezüglich der näheren Bestimmung der Leistungspflicht eine Konkretisierungskompetenz zuspricht. Eine solche Kompetenz ermöglicht es dem Arbeitgeber, den Arbeitsvertrag und die dort regelmäßig nur rahmenmäßig ausgestalteten Arbeitspflichten zu konkretisieren (BAG, Urteil vom 18.10.2017 – 10 AZR 330/16, NZA 2017, 1452). Die durch den Arbeitsvertrag legitimierte Leitungsmacht des Arbeitgebers berechtigt ihn, dem Arbeitnehmer, in den Grenzen des Rechts, jederzeit beliebige Arbeiten zuzuweisen. Hierzu gehört auch das Erscheinen zu einem Personalgespräch. Dabei schließt sich die Kammer zwar der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Konkretisierungskompetenz an. Es soll allerdings auch darauf hingewiesen werden, dass in der Literatur Stimmen existieren, welche aus dem Direktionsrecht gemäß § 106 GewO sogar eine asymmetrische Machtverteilung ableiten, welche zu einem durch Unterwerfung gekennzeichneten Über-Unterordnungsverhältnis führt (Maschmann in BeckOGK, GewO, Stand: 01.01.2022, § 106 Rn. 5). Unter Berücksichtigung der skizzierten Funktion des Direktionsrechts, des engen zeitlichen Zusammenhangs der verweigerten Teilnahmen und der Art und Weise der Zurückweisung sieht die Kammer somit im vorliegenden Fall eine beharrliche Arbeitsverweigerung und eine damit verbundene negative Zukunftsprognose als gegeben an. Dem steht auch nicht entgegen, dass der streitgegenständlich zu entscheidende Fall starke Bezüge zur möglicherweise nur vorübergehend andauernden COVID-19-Pandemie aufweist. Die Kammer sieht die Gefahr, dass die Klägerin auch in Zukunft ähnliche Verhaltensmuster einsetzen könnte, um ihre Forderungen gegenüber der Beklagten durchzusetzen.

(3) Die Klägerin war auch verpflichtet, den Einladungen der Beklagten zu einem Gespräch im Betrieb der Beklagten zu folgen. Die diesbezüglichen Weisungen der Beklagten waren von dem ihr gemäß § 106 GewO zustehenden Direktionsrecht gedeckt.

(4) Nach § 106 Satz 1 GewO kann der Arbeitgeber gegenüber den Arbeitnehmern Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrags oder gesetzlichen Vorschrift festgelegt sind. Das Weisungsrecht betrifft danach zum einen die Konkretisierung der Hauptleistungspflicht. Es ermöglicht dem Arbeitgeber, dem Arbeitnehmer bestimmte Aufgaben zuzuweisen und den Ort und die Zeit der Erledigung verbindlich festzulegen. Das beinhaltet auch die Berechtigung, den Arbeitnehmer zur Teilnahme an Gesprächen zu verpflichten in denen der Arbeitgeber Weisungen in einem der oben genannten Bereiche vorbereiten, erteilen oder ihre Nichterfüllung beanstanden will (BAG, Urteil vom 02.11.2016 – 10 AZR 596/15, NZA 2017, 183; BAG, Urteil vom 26.03.2009 – 2 AZR 606/08, NZA 2009, 1011). Zugleich ist vom Weisungsrecht des Arbeitgebers umfasst, jede vom Arbeitgeber im Synallagma verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise von deren Erbringung unmittelbar zusammenhängt (BAG, Urteil vom 02.11.2016 – 10 AZR 596/15, NZA 2017, 183; BAG, Urteil vom 12.12.2012 – 5 AZR 355/12, NZA 2013, 1158). Schließlich bewirkt die besondere persönliche Bindung der Vertragspartner im Arbeitsverhältnis für beide Parteien des arbeitsvertraglichen Schuldverhältnisses nach § 241 Abs. 2 BGB eine nicht abschließend aufzählbare, je nach den Umständen näher zu bestimmende Vielzahl von Pflichten, deren Erfüllung unumgänglich ist, um den Austausch der Hauptleistung sinnvoll zu ermöglichen (BAG, Urteil vom 26.03.2009 – 2 AZR 606/08, NZA 2009, 1011). Sie zielen auf die Verwirklichung des Leistungserfolges, indem sie der Erhaltung der Leistungsmöglichkeit, der Vorbereitung, Unterstützung, Förderung und ordnungsgemäßen Durchführung sowie der Sicherung der Hauptleistung dienen (BGH, Urteil vom 13.11.2021 – XI ZR 145/12, BeckRS 2012, 24814; Mansel in Jauernig, BGB, 18. Auflage 2021, § 241 Rn. 9; Sutschet in BeckOK, BGB, Stand: 01.02.2022, § 241 Rn. 42 ff.). In Bezug auf diese so genannten leistungssichernden Neben- oder Verhaltenspflichten besteht ebenfalls ein Weisungsrecht des Arbeitgebers gemäß § 106 GewO. Rechtsgrundlage für die leistungssichernden Neben- oder Verhaltenspflichten ist der vertragliche Wille der Parteien zum Leistungsaustausch. Deshalb schützen sie nicht nur das Integritätsinteresse (BAG, Urteil vom 02.11.2016 – 10 AZR 496/15, NZA 2017, 183), sondern enthalten insbesondere auch für den Arbeitnehmer verpflichtende Elemente. Diese Nebenpflichten gemäß § 241 Abs. 2 BGB entspringen aus den das Arbeitsverhältnis prägenden synallagmatischen Hauptleistungspflichten und weisen somit auch eine gewisse Gegenseitigkeit auf, welche sich in der korrespondierenden Konkretisierung durch das Direktionsrecht niederschlägt.

Die Aufforderungen der Beklagten zu einem persönlichen Gespräch im Betrieb der Beklagten zu erscheinen waren unter Berücksichtigung der skizzierten Gesichtspunkte vom Weisungsrecht gemäß § 106 GewO umfasst. Zwischen den Parteien des Rechtsstreits ist zumindest unstreitig, dass es im Shopfloor vom 16.11.2021 zu Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Bearbeitung von Tickets durch die Mitarbeiter der Beklagten gekommen ist. Die Klägerin selbst trägt in ihrem Widerspruch gegen die Ermahnung vom 19.11.2021 vor, dass sie der Meinung sei, dass sich einige Mitarbeiter der Beklagten die „einfachsten“ Servicemeldungen heraussuchen würden, um auf möglichst hohe Zahlen zu kommen und dies auch aufgrund des vorausgegangenen E-Mail-Verkehrs so im Shopfloor vom 16.11.2021 angesprochen habe. Um in Zukunft Meinungsverschiedenheiten diesbezüglich zwischen ihren Mitarbeitern zu vermeiden, war es der Beklagten im Hinblick auf eine ordnungsgemäße und zielgerichtete Durchführung der Hauptleistungspflichten auch gestattet, die Klägerin zu einem Personalgespräch zu laden, um diese bezüglich des Umgangs mit anderen Mitarbeitern und der Ansprache von Problemen gegenüber der Beklagten zu sensibilisieren. Hiervon umfasst wäre auch, wie die Klägerin selbst vorträgt, lediglich ein weiteres Gespräch über die von der Klägerin geäußerte Kritik an der Ist-Situation im Bereich des After Sales Service. Die Übergänge sind hier zumindest fließend, denn die von der Klägerin geäußerte Kritik steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit ihrem Verhalten gegenüber den anderen Mitarbeitern der Beklagten und ihrem Vorgesetzten. Ein solches Gespräch dient letztlich der Sicherung der Hauptleistungspflicht und somit auch der Verwirklichung des Leistungserfolges. Dabei steht es der Beklagten im Rahmen ihrer aus dem Direktionsrecht entspringenden Einschätzungsprärogative auch zu, gerade die Klägerin und nicht die Mitarbeiter, welche vermeintlich nur die „einfachen“ Tickets bearbeitet haben, zu diesem Gespräch zu laden, denn die Beklagte ist berechtigt im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Grenzen selbst zu entscheiden, welche Maßnahmen sie bezüglich der Sicherung der Hauptleistungspflichten für besonders zielführend erachtet. Letztlich stand es der Beklagten auch zu, die Klägerin zu einem persönlichen Gespräch einzuladen. Hierbei hat die Kammer insbesondere beachtet, dass die Problematik hinsichtlich der Anzahl der bearbeiteten Tickets zwischen der Klägerin und ihrem Vorgesetzten bereits via E-Mail im Vorfeld des Shopfloors besprochen worden ist. Im Shopfloor, welcher per Videokonferenz durchgeführt wurde, erfolgte eine weitere Besprechung der Thematik, welche wiederum zumindest aus Sicht der Beklagten nicht zielführend verlief. Vor der Anberaumung eines persönlichen Termins hatte die Beklagte also bereits versucht, die Problematik durch mildere, weniger einschneidende Mittel zu lösen.

(5) Die streitgegenständlichen Weisungen der Beklagten wahren auch billiges Ermessen.

(6) Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Werteentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. Es sind die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragspartnern, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie die sozialen Lebensverhältnisse, wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen, einzubeziehen und abzuwägen (BAG, Urteil vom 17.08.2011 – 10 AZR 202/10, NZA 2012, 265; BAG, Urteil vom 28.08.2013 – 10 AZR 569/12, NZA-RR 2014, 181; LAG München, Urteil vom 26.08.2021 – 3 SaGa 13/21, COVuR 2021, 620). Beruht die Weisung auf einer unternehmerischen Entscheidung, so kommt dieser besonderes Gewicht zu. Das unternehmerische Konzept ist nicht auf seine Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen. Die Arbeitsgerichte können vom Arbeitgeber nicht verlangen, von ihm nicht gewollte Organisationsentscheidungen zu treffen. Eine unternehmerische Entscheidung führt andererseits nicht dazu, dass die Abwägung mit den Interessen des Arbeitnehmers von vornherein ausgeschlossen wäre und sich die Belange des Arbeitnehmers nur in dem von dem Arbeitgeber gesetzten Rahmen durchsetzen können. Es kommt vielmehr darauf an, ob das Interesse des Arbeitgebers an der Durchsetzung seiner Organisationsentscheidung auch im Einzelfall die Weisung rechtfertigt. Dies ist der Fall, wenn die zugrundeliegende unternehmerische Entscheidung die Anweisung auch angesichts der für den Arbeitnehmer entstehenden Nachteile nahelegt und sie nicht willkürlich oder missbräuchlich erscheinen lässt (BAG, Urteil vom 30.11.2016 – 10 AZR 11/16, NZA 2017, 1394). Bei der Ausübung des Weisungsrechts verbleibt dem Arbeitgeber ein nach billigem Ermessen auszufüllender Spielraum. Innerhalb dieses Spielraums können dem Arbeitgeber mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Dem Gericht obliegt nach § 315 Abs. 1 Satz 1 BGB die Prüfung, ob der Arbeitgeber als Gläubiger die Grenzen seines Bestimmungsrechts beachtet hat. Bei dieser Prüfung kommt es nicht auf die vom Bestimmungsberechtigten angestellten Erwägungen an, sondern darauf, ob das Ergebnis der getroffenen Entscheidung den gesetzlichen Anforderungen genügt. Die Darlegungs- und Beweislast für die Einhaltung dieser Grenzen hat der Arbeitgeber. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Ausübungskontrolle ist der Zeitpunkt, zu dem der Arbeitgeber die Ermessensentscheidung zu treffen hat (BAG, Urteil vom 30.11.2016 – 10 AZR 11/16, NZA 2017, 1394; BAG, Urteil vom 18.10.2017 – 10 AZR 330/16, NZA 2017, 1452).

Für die Beklagte bestanden im streitgegenständlichen Fall betriebliche Gründe, welche es aus ihrer Sicht erforderlich machten, die Klägerin zu einem Gespräch in den Betrieb einzuladen. Zwischen den Parteien des Rechtsstreits ist unstreitig, dass die mittelbaren Ursachen für den Kündigungsgrund bereits im Vorfeld des Shopfloors vom 16.11.2021 gesetzt worden sind. Bereits am 11.11.2021 und 12.11.2021 gab es zwischen der Klägerin und ihrem Vorgesetzten den ersten E-Mail-Kontakt bezüglich der Anzahl der von der Klägerin bearbeiteten Tickets. Bereits im Verlaufe dieses Kontakts sprach die Klägerin an, dass es bei der Bearbeitung der Tickets durch die verschiedenen Mitarbeiter der Beklagten zu Unregelmäßigkeiten komme, da sich einige Mitarbeiter die „einfachsten“ Tickets heraussuchen würden, um eine möglichst hohe Bearbeitungszahl zu erreichen. Fortgesetzt, auch dies ist zwischen den Parteien des Rechtsstreits unstreitig, wurde die Diskussion diesbezüglich im Shopfloor am 16.11.2021. Von der Klägerin wurde die Problematik in Rahmen dieses Termins nochmals angesprochen. Die Klägerin trägt selbst vor, dass sie im Shopfloor vom 16.11.2021 geäußert habe, dass die vorliegenden Zahlen nicht stimmen können, da hier Äpfel mit Birnen verglichen werden würden was schließlich zu einer Fälschung der Statistik führen würde. Eine Lösung konnte schließlich nicht erzielt werden, was die Beklagte dazu veranlasste, die Klägerin zu einem persönlichen Folgegespräch einzuladen (Betreff der Einladungsmail: „Folgetermin Diskussion aus SF“). Mit dieser Einladung hat die Beklagte die Grenzen ihres Bestimmungsrechts eingehalten. Die Kammer hat hierbei insbesondere auch berücksichtigt, dass es sich bei der streitgegenständlichen Thematik betreffend die Bearbeitung von Tickets um ein Problem handelte, welches bereits im Vorfeld des Shopfloors vom 16.11.2021 erstmal zur Sprache kam und auch im weiteren Verlauf zunächst nicht gelöst werden konnte. Da die Klägerin die Besprechung dieses Problems letztlich auch initiiert hat, erscheint es der Kammer nur sinnig, dass aufgrund des Ausbleibens einer Lösung diesbezüglich die Klägerin zu einem weiteren Termin eingeladen wurde. Dabei stand es der Beklagten auch frei, zu einem persönlichen Gespräch einzuladen, da vorherige Anläufe eine Lösung herbeizuführen, bereits gescheitert waren.

Demgegenüber bestanden keine besonders schwerwiegenden, insbesondere verfassungsrechtlich geschützten Belange in der Person der Klägerin. Nur der Vortrag des allgemeinen Infektionsrisikos im Betrieb der Beklagten während des Gesprächs und die möglichen Auswirkungen, welche eine Infektion oder eine Quarantäne der Klägerin auch auf die Beziehung zu ihrer Mutter haben könnte, sind schon keine ausreichenden Gründe, die gegen die Ausübung des Direktionsrechts der Beklagten bezüglich eines persönlichen Gesprächs im Betrieb sprechen. Zugunsten der Klägerin unterstellt, die von ihr vorgetragenen und von der Beklagten bestrittenen Krankheiten ihrer Mutter träfen zu, hat die Kammer trotzdem zuvorderst berücksichtigt, dass die Mutter der Klägerin nicht auf die ununterbrochene Hilfe einer Pflegekraft angewiesen ist. Sie ist in der Lage, ihren Alltag selbst zu bewältigen. Hilfe benötigt sie lediglich beim Einkaufen, da sie aufgrund einer Operation aus dem Jahr 2018 nicht mehr in der Lage ist, schwere Tüten in ihre Wohnung zu tragen. Die Klägerin unterstützt ihre Mutter deshalb bei den wöchentlichen Einkäufen. Bezüglich dieser Hilfe geht die Kammer davon aus, dass es der Klägerin auch bei der Teilnahme an einem einmaligen Gespräch im Betrieb der Beklagten noch zuzumuten gewesen wäre, diese Hilfe in modifizierter Form und für einen beschränkten Zeitraum für ihre Mutter auszuüben. Problemlos wäre es der Klägerin möglich gewesen, die Einkäufe ohne ihre Mutter zu tätigen, um diese anschließend vor der Wohnungstür ihrer Mutter abzustellen, sodass diese sie nicht die Treppe hätte herauftragen müssen. Dabei geht die Kammer auch in sozialer Hinsicht davon aus, dass es der Klägerin als auch ihrer Mutter zuzumuten gewesen wäre, für einen begrenzten Zeitraum von ungefähr 10 bis 14 Tagen auf gegenseitigen sozialen Kontakt zu verzichten, um eine mögliche Infektion der Mutter zu vermeiden. Schließlich hat die Kammer auch berücksichtigt, dass die Schwester der Mutter lediglich 20 Minuten vom Wohnort der Mutter entfernt wohnhaft ist, sodass diese vor allem auch in Notfallsituationen in der Lage gewesen wäre, für ihre Mutter einzukaufen. Für die Kammer ist dabei nicht nachvollziehbar, warum es der Schwester der Klägerin trotz dreier Kinder und einer Entfernung von lediglich 20 Kilometern nicht möglich gewesen sein soll, für einen begrenzten Zeitraum für ihre Mutter einzukaufen. Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht aus dem zum Zeitpunkt der Kündigung geltenden § 28b Abs. 4 Satz 1 IfSG in der Fassung vom 24.11.2021 (siehe auch Artikel 1 des Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze anlässlich der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22.11.2021 – Bundesgesetzblatt Jahrgang 2021 Teil I Nr. 79, Seite 4906 ff.), da aus diesem bereits schon kein subjektives Recht des Arbeitnehmers auf Home-Office entspringt (LAG München, Urteil vom 26.08.2021 – 3 SaGa 13/21, COVuR 2021, 620; ArbG München, Urteil vom 08.04.2021 – 32 Ga 33/21; Oltmanns/Harländer, DB 2021, 3093). § 28b Abs. 4 Satz 1 IfSG war wortgleich mit § 2 Abs. 4 SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung. Ausweislich der amtlichen Begründung zu § 2 Abs. 4 SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung sollte mit dieser Vorschrift ein subjektives Klagerecht für Arbeitnehmer gerade nicht verbunden sein. Vielmehr sollten die Arbeitsschutzbehörden der Länder die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben überprüfen (Referentenentwurf zur SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 20.01.2021). Nicht anderes kann somit für den wortgleichen § 28b Abs. 4 Satz 1 IfSG in der Fassung vom 24.11.2021 gelten, da sich auch im Bericht des Hauptausschusses (BT-Drucksache 20/89, Seite 18 f.) und im Gesetzesentwurf (BT-Drucksache 20/15) keine Anhaltspunkte finden lassen, welche für ein subjektives Recht des Arbeitnehmers sprechen.

(7) Schließlich stand es der Klägerin auch nicht zu, die Einladungen zu den Gesprächen unter Verweis auf § 275 Abs. 3 BGB zu verweigern, da die Kammer aufgrund der obigen Ausführungen zu §§ 106 GewO, 315 BGB davon ausgeht, dass die Arbeitsleistung in Form eines Personalgesprächs für die Klägerin im vorliegenden Fall nicht in hohem Maße belastend gewesen ist. Für die Klägerin besteht keine Gefahr, in bedeutsamen Rechtsgütern verletzt zu werden. Selbst wenn man davon ausgeht, dass § 275 Abs. 3 BGB gegenüber §§ 106 GewO, 315 BGB ein weitergehendes Verweigerungsrecht des Arbeitnehmers darstellt, liegen die Voraussetzungen vorliegend offenkundig nicht vor.

cc) Die erforderliche Interessenabwägung fällt allerdings zu Lasten der Beklagten aus. Der Beklagten ist die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist bei Berücksichtigung der Interessen der Klägerin zumutbar.

Auf einer zweiten Stufe muss der wichtige Grund im Rahmen einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere auch des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zum Überwiegen der berechtigten Interessen des Kündigenden an der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen. In einer Gesamtwürdigung ist das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG, Urteil vom 24.03.2011 – 2 AZR 282/10, NZA 2011, 1029). Zu den berücksichtigenden Umständen zählen regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Entscheidend ist die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung (BAG, Urteil vom 09.06.2011 – 2 AZR 381/10, NZA 2011, 1027; BAG, Urteil vom 27.09.2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064). Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist die außerordentliche Kündigung „Ultima Ratio“, sodass sie dann nicht gerechtfertigt ist, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigung zumutbar ist, weil dann die ordentliche Kündigung ein milderes Mittel als die außerordentliche Kündigung darstellt (BAG, Urteil vom 09.06.2011 – 2 AZR 381/10, NZA 2011, 1027; BAG, Urteil vom 27.09.2012 – 2 AZR 646/11, NJOZ 2013, 1064). Als weitere mildere Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers kommt auch die Versetzung in Betracht. Schließlich setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus, da diese der Objektivierung der Prognose dient (BAG, Urteil vom 12.01.2006 – 2 AZR 21/05, NZA 2006, 917). Entscheidend ist abschließend, ob es ein schonenderes Gestaltungsmittel des Arbeitgebers gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck, nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses, zu erreichen (BAG, Urteil vom 20.10.2016 – 6 AZR 471/15, NZA 2016, 1527).

Unter Zugrundlegung dieser Grundsätze vermochte erst die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29.12.2021 im Zusammenhang mit den Abmahnungen vom 23.11.2021 und 06.12.2021 das Arbeitsverhältnis zum 31.03.2022 zu beenden. Die ordentliche Kündigung kommt vorliegend als schonenderes Gestaltungsmittel der Beklagten in Betracht. Dabei hat die Kammer im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung zunächst beachtet, dass das streitgegenständliche Arbeitsverhältnis bereits für fast 8 Jahre belastungsfrei andauerte. Darüber hinaus hat die Kammer allerdings in besonderem Maße beachtet, dass es sich bei den Verfehlungen der Klägerin zwar um eine beharrliche Arbeitsverweigerung handelt. Berücksichtigt werden muss allerdings, dass sich diese Verfehlung auf die Erfüllung von leistungssichernden Neben- und Verhaltenspflichten, nämlich das Erscheinen im Betrieb zu einem Personalgespräch, bezogen hat. Sie wiegt somit weniger schwer. Bestätigt wird diese Annahme vor allem auch dadurch, dass die Beklagte nicht vorgetragen hat, dass sich die Arbeitsleistung der Klägerin aus dem Home-Office heraus während der bestehenden Konfliktlage vor allem seit dem 17.11.2021 verschlechtert habe. Der Beklagten wäre es somit durchaus zuzumuten gewesen, die Klägerin bis zum Ablauf der Kündigungsfrist (31.03.2022) zu beschäftigen. Berücksichtigt werden muss im Hinblick auf die bevorstehende Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine ordentliche Kündigung nämlich gerade auch, dass sich damit auch die Notwendigkeit für ein Gespräch im Betrieb der Beklagten erledigt haben dürfte, womit auch mit einer weiteren Verschärfung des Konflikts nicht zu rechnen gewesen wäre. Da die Klägerin bereits seit November 2020 aus dem Home-Office heraus gearbeitet hat und diesbezüglich vonseiten der Beklagten auch keine Verfehlungen vorgetragen worden sind, wäre eine Beschäftigung der Klägerin bis zum 31.03.2022 angemessen gewesen.

dd) Die ordentliche Kündigung vom 29.12.2021 ist auch nicht aufgrund eines Verstoßes gegen § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Der Betriebsrat wurde ordnungsgemäß angehört.

(1) Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Gemäß Satz 2 der Norm hat ihm der Arbeitgeber die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Nach Satz 3 ist eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam.

(2) Der notwendige Inhalt der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG richtet sich nach Sinn und Zweck der Anhörung. Dieser besteht darin, den Betriebsrat in die Lage zu versetzen, sachgerecht, das heißt gegebenenfalls zugunsten des Arbeitnehmers auf den Arbeitgeber einzuwirken. Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen und sich über diese eine Meinung bilden (BAG, Urteil vom 16.07.2015 – 2 AZR 15/15, NZA 2016, 99; BAG, Urteil vom 23.10.2014 – 2 AZR 736/13, NZA 2015, 476). Die Anhörung soll dem Betriebsrat nicht die selbständige, objektive Überprüfung der rechtlichen Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung, sondern gegebenenfalls eine Einflussnahme auf die Willensbildung des Arbeitgebers ermöglichen (BAG, Urteil vom 16.07.2015 – 2 AZR 15/15, NZA 2016, 99; BAG, Urteil vom 06.10.2005 – 2 AZR 280/04, NZA 2006, 431; BAG, Urteil vom 31.01.1996 – 2 AZR 181/95, BeckRS 1996, 30924522). Der Inhalt der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist deswegen grundsätzlich subjektiv determiniert. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben (BAG, Urteil vom 16.07.2015 – 2 AZR 15/15, NZA 2016, 99; BAG, Urteil vom 23.10.2014 – 2 AZR 736/13, NZA 2015, 476; BAG, Urteil vom 21.11.2013 – 2 AZR 797/11, NZA 2014, 243).

(3) Dem kommt der Arbeitgeber bereits dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt unterbreitet (BAG, Urteil vom 16.07.2015 – 2 AZR 15/15, NZA 2016, 99; BAG, Urteil vom 23.10.2014 – 2 AZR 736/13, NZA 2015, 476; BAG, Urteil vom 21.11.2013 – 2 AZR 797/11, NZA 2014, 243). Schildert er dem Betriebsrat bewusst einen unrichtigen oder unvollständigen, und damit irreführenden Sachverhalt, der sich bei der Würdigung durch den Betriebsrat zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken kann, ist die Anhörung unzureichend und die Kündigung unwirksam (BAG, Urteil vom 31.07.2014 – 2 AZR 407/13, AP BGB § 626 Nr. 251; BAG, Urteil vom 10.04.2014 – 2 AZR 684/13, NZA 2014, 1197). Des Weiteren gehört zu einer vollständigen Unterrichtung des Betriebsrats auch die Mitteilung von dem Arbeitgeber bekannten Tatsachen, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können (BAG, Urteil vom 16.07.2015 – 2 AZR 15/15, NZA 2016, 99; BAG, Urteil vom 23.10.2014 – 2 AZR 736/13, NZA 2015, 476; BAG, Urteil vom 03.11.2011 – 2 AZR 748/10, NZA 2012, 607). Die subjektive Determination wird hier somit zum Teil durch objektive Elemente verdrängt.

(4) Bei Berücksichtigung der im Hinblick auf § 102 Abs. 1 BetrVG streitentscheidenden Gesichtspunkte hat die Beklagte den Betriebsrat zu der ordentlichen Kündigung vom 29.12.2021 ordnungsgemäß angehört.

Dabei hat die Kammer insbesondere auch berücksichtigt, dass die Klägerin selbst dem Vorsitzenden des Betriebsrats mit E-Mail vom 27.11.2021 den Widerspruch gegen die Ermahnung vom 19.11.2021 und gegen die Abmahnung vom 23.11.2021 zugeleitet hat und ihn gleichzeitig dazu aufgefordert hat, den Sachverhalt nochmals zu prüfen. Aufgrund dieser E-Mail nahm der Vorsitzende des Betriebsrats auch nochmals telefonisch Kontakt mit der Klägerin auf, um die Angelegenheit zu besprechen. Im Verlaufe dieses Telefonats teilte er der Klägerin mit, dass er sie verstehe und wies abschließend auf die allgemeine Pflicht zum Home-Office hin. Aufgrund dieser E-Mail und des sich anschließenden Telefonats war der Betriebsrat durch seinen Vorsitzenden somit ausreichend informiert, um die Stichhaltigkeit und die Gewichtigkeit der Kündigungsgründe auch noch am 21/22.12.2021 überprüfen zu können. Ihm waren auch die Gesichtspunkte bekannt, welche die Klägerin gegenüber der Beklagten angebracht hat, um zu begründen, dass sie an den Gesprächen im Betrieb der Beklagten nicht teilnehmen könne. Dabei kommt es im Hinblick auf den Sinn des Anhörungsverfahrens – Einflussnahme auf die Willensbildung des Arbeitgebers – nicht darauf an, dass dem Betriebsrat die nötigen Informationen nicht durch den Arbeitgeber, sondern die Klägerin selbst zugeleitet worden sind. Entscheidend ist allein, dass dem Betriebsrat die nötigen Informationen im relevanten Zeitpunkt zur Verfügung standen (BAG, Urteil vom 19.05.1993 – 2 AZR 584/92, AP KSchG 1969 § 2 Nr. 31; BAG, Urteil vom 06.11.1997 – 2 AZR 94/97, NZA 1998, 143; BAG, Urteil vom 05.11.2009 – 2 AZR 676/08, NZA 2010, 457). Entscheidungserheblich war vorliegend auch nicht, dass die Beklagte in ihrem Anhörungsschreiben darauf verwies, dass der Shopfloor am 18.11.2021 stattgefunden haben soll, obwohl er in Wirklichkeit am 16.11.2021 stattfand. Hierbei handelt es sich um eine „bloße“ und unbewusste objektive Fehlinformation, die für sich genommen nicht zu einer Unwirksamkeit der Kündigung aufgrund fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats führt (BAG, Urteil vom 21.11.2013 – 2 AZR 797/11, NZA 2014, 243).

(5) Aufgrund der obigen Ausführungen war auch eine nachträgliche Schriftsatzfrist gemäß §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 283 ZPO trotz des Antrags der Klägerin nicht zu gewähren, da das möglicherweise neue Vorbringen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 23.03.2022 betreffend das Beiblatt zur Stellungnahme des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung nicht entscheidungserheblich gewesen ist (Greger in Zöller, ZPO, 34. Auflage 2022, § 283 Rn. 2a; Bacher in BeckOK, ZPO, 43. Edition Stand: 01.12.2021, § 283 Rn. 6).

2. Nach Auslegung des Klageantrags zu Ziffer 2 aus der Klageschrift vom 04.01.2022 gemäß §§ 133, 157 BGB analog stand dieser nicht zur Entscheidung an. Dieser Antrag wurde für den Fall gestellt, dass die Kammer zu der Entscheidung gelangt, dass die außerordentliche Kündigung vom 27.12.2021 unwirksam ist, wobei gleichzeitig durch Auslegung dieser Kündigung gemäß § 133 BGB oder Umdeutung gemäß § 140 BGB, im Hinblick auf den hypothetischen Willen des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis zu beenden, über eine ordentliche Kündigung hätte entschieden werden müssen. Es handelt sich somit um einen uneigentlichen Hilfsantrag. Vorliegend ist allerdings zu beachten, dass die Beklagte betrieblich verfasst ist, was dazu führte, dass man die ordentliche Kündigung zwei Tage nach der außerordentlichen Kündigung aussprach. Aufgrund des Anhörungsverfahrens gemäß § 102 BetrVG und des Ausspruchs der ordentlichen Kündigung am 29.12.2021 konnte eine Auslegung oder auch eine Umdeutung unter Berücksichtigung des Willens des Arbeitgebers somit nicht dazu führen, dass bei Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 27.12.2021 diese anhand der Maßstäbe einer ordentlichen Kündigung zu überprüfen gewesen wäre.

3. Der zu Ziffer 5 gestellte allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch der Klägerin ist zulässig aber nicht begründet.

a) Der Hilfsantrag ist zulässig. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass dieser Antrag unter einer Bedingung gestellt worden ist. Der unechte Hilfsantrag ist als Ausnahme von der grundsätzlichen Bedingungsfeindlichkeit von Anträgen deshalb zulässig, weil es sich bei der Bedingung um ein innerprozessuales Ereignis, die Begründetheit des Antrags zu Ziffer 1, handelt. Diese Bedingung bewirkt keine Rechtsunsicherheit, wie sie § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO verhindern soll, weil sie allein von der Entscheidung des erkennenden Gerichts abhängt. Da vorliegend auch lediglich das Obsiegen hinsichtlich des Klageantrags zu Ziffer 1 (außerordentliche Kündigung) als Bedingung durch die Klägerin in den Rechtsstreit eingeführt wurde, steht der allgemeine Weiterbeschäftigungsantrag auch zur Entscheidung an, obwohl das Bestandsschutzbegehren der Klägerin aufgrund der Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung nicht vollends erfolgreich gewesen ist.

b) Der Antrag ist allerdings nicht begründet, da das Interesse der Beklagten an der Nichtbeschäftigung der Klägerin überwiegt. Die Interesselage konnte sich durch das Obsiegen hinsichtlich des Klageantrags zu Ziffer 1 (außerordentliche Kündigung) auch nicht zugunsten der Klägerin drehen, da das allgemeine Bestandsschutzbegehren aufgrund der Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 29.12.2021 nicht vollends erfolgreich gewesen ist.

4. Der Anspruch der Klägerin auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses ergibt sich aus einer vertraglichen Nebenpflicht des Arbeitgebers gemäß § 241 Abs. 2 BGB. Die Klägerin ist aufgrund der (bevorstehenden) Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf ein solches Zwischenzeugnis angewiesen. (BAG, Urteil vom 20.05.2020 – 7 AZR 100/19, NZA 2020, 1194; BAG, Urteil vom 17.04.2019 – 7 AZR 292/17, NZA-RR 2019, 286). Etwas anderes ergibt sich vorliegend auch nichts aus einem Ablauf der Kündigungsfrist, da die Parteien gerichtlich über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses streiten, sodass ein triftiger Grund für die Erteilung eines Zwischenzeugnis besteht. Dieser Grund fällt erst mit dem rechtskräftigen Abschluss des Beendigungsrechtsstreits weg (BAG, Urteil vom 20.05.2020 – 7 AZR 100/19. NZA 2020; BAG, Urteil vom 04.11.2015 – 7 AZR 933/13, NZA 2016, 547).

5. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegenüber der Beklagten auf Rücknahme und Entfernung der Ermahnung vom 19.11.2021, der Abmahnung vom 23.11.2021 und der Abmahnung vom 06.12.2021 aus ihrer Personalakte gemäß §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts besteht ein solcher Anspruch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur dann, wenn es objektive Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Abmahnung dem Arbeitnehmer noch schaden kann. Dies gilt selbst bei einer zu Unrecht erteilten Abmahnung (BAG, Urteil vom 17.11.2016 – 2 AZR 730/15, NZA 2017, 394; BAG, Urteil vom 19.04.2012 – 2 AZR 233/11, NZA 2012, 1449). Dafür hat die Klägerin allerdings keine Tatsachen vorgetragen. In ihren Ausführungen zur Entfernung der Ermahnung und Abmahnungen geht die Klägerin vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses aus. Einen Anspruch gründend auf Art. 17 Abs. 1 DSGVO hat die Klägerin, wie bereits erwähnt, nicht geltend gemacht, sodass die Kammer zur Entscheidung hierüber gemäß § 308 ZPO auch nicht befugt ist.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91a Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO. Die Kosten des Rechtsstreits waren verhältnismäßig zu teilen, da jede Partei teilweise obsiegt hat und teilweise unterlegen war. Dabei hat die Kammer bei der zu bildenden Quote im Hinblick auf das Unterliegen der Klägerin bezüglich des allgemeinen Feststellungantrags diesen auch bei der Bildung eines fiktiven Kostenstreitwerts beachtet. Nachdem die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich der Arbeitsbescheinigung gemäß § 312 SGB III in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, war über die auf diesen Teil der Klage entfallenden Kosten des Rechtsstreits gemäß § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dies führte dazu, dass die Beklagte diesen Teil der Kosten tragen musste. Sie wäre nämlich ohne die übereinstimmende Erledigungserklärung hinsichtlich dieses Antrags unterlegen gewesen, denn bereits während eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Erteilung einer Arbeitsbescheinigung. Im Rahmen des nach § 61 Abs. 1 ArbGG festzusetzenden Streitwerts wurde für die Bestandsstreitigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO ein Vierteljahresgehalt (3 x 4.754,88 EUR) in Ansatz gebracht. Für den Antrag auf Weiterbeschäftigung wurde gemäß § 48 Abs. 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO eine Bruttomonatsvergütung in Ansatz gebracht (LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.02.2011 – 5 Ta 214/10, BeckRS 2011, 68909). Für den Zeugnisantrag wurde gemäß § 48 Abs. 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO eine Bruttomonatsvergütung in Ansatz gebracht. Für die Anträge auf Entfernung der Ermahnung vom 19.11.2021 und Abmahnung vom 23.11.2021 sowie Abmahnung vom 06.12.2021 wurde gemäß § 48 Abs. 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO jeweils eine Bruttomonatsvergütung in Ansatz gebracht, da es sich zwar zumindest bei den beiden Abmahnungen um gleichartige Pflichtverstöße handelt, welche allerdings nicht an ein und demselben Tag abgemahnt wurden. Schließlich wurde für den Antrag auf Erteilung der Arbeitsbescheinigung gemäß § 312 SGB III nach erfolgter übereinstimmender Erledigungserklärung der Betrag angesetzt, welcher dem Kosteninteresse der Parteien entsprich (76,00 EUR – Nr. 8210 des Gebührenverzeichnisses Anlage 1 zum GKG bei einem Streitwert bis 500,00 EUR) (OLG Koblenz, Beschluss vom 06.02.1992 – 14 W 713/91, BeckRS 1992, 2711). Die Berufung war hinsichtlich der Bestandsschutzanträge zuzulassen, da die Entscheidung des Rechtsstreits im Hinblick auf die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf das Direktionsrecht des Arbeitgebers von einer klärungsfähigen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhing, welche die Interessen der Allgemeinheit eng berührt.