Tenor

Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 15.12.2021 – 4 Ca 838/21 – wird hinsichtlich der Verurteilung zur Weiterbeschäftigung als Abteilungsleiterin Rechnungswesen gemäß Ziffer 2. des Urteilstenors einstweilen eingestellt.

Gründe

I.Die Beklagte begehrt die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem gegen sie gerichteten erstinstanzlichen Weiterbeschäftigungstitel.

Die 1960 geborene Klägerin war bei der Beklagten seit dem 01.09.1992 als Abteilungsleiterin Rechnungswesen zu einem Bruttojahresentgelt von ca. 7.840,50 € beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis zur Klägerin außerordentlich mit Schreiben vom 18.06.2021 wegen Nichtanzeige einer Nebentätigkeit und mit Schreiben vom 07.09.2021 wegen Ausbuchung eines tatsächlich nicht gezahlten Betrages.

Auf die vom Kläger hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage hat das Arbeitsgericht mit nicht rechtskräftigem Teilurteil vom 27.10.2021 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 18.06.2021 nicht aufgelöst worden ist. Mit Schlussurteil vom 15.12.2021 hat es ebenso über die Kündigung vom 07.09.2021 entschieden und die Beklagte antragsgemäß verurteilt, die Klägerin als Abteilungsleiterin Rechnungswesen weiterzubeschäftigen. Gegen beide Urteile hat die Beklagte fristgerecht Berufung eingelegt.

Mit Schreiben vom 29.11.2021, 01.12.2021, 07.12.2021 und 22.12.2021 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zur Klägerin erneut jeweils außerordentlich. Gegen sämtliche Kündigungen wehrt sich die Klägerin derzeit erstinstanzlich mit der Kündigungsschutzklage (Arbeitsgericht Duisburg 4 Ca 1540/21).

Die Klägerin hat mit Anwaltsschreiben vom 04.01.2022 ihre Weiterbeschäftigung verlangt und Vollstreckung aus dem Schlussurteil angekündigt.

Mit ihrem am 14.01.2022 zugleich mit Einlegung der Berufung beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Antrag begehrt die Beklagte die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Weiterbeschäftigungstitel des Schlussurteils. Sie macht geltend, dass der Beschäftigungsanspruch nach der Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts wegen der erneuten zwischenzeitlichen Kündigungen vom 29.11.2021, 01.12.2021, 07.12.2021 und 22.12.2021 mit sofortiger Wirkung materiellrechtlich entfallen sei. Die Kündigung vom 22.12.2021 würde auf verleumderische Behauptungen der Klägerin über die Geschäftsführerin der Beklagten gestützt.

Die Klägerin hält den Antrag für unbegründet. Die Folgekündigungen stünden der Vollstreckung des Weiterbeschäftigungstitels grundsätzlich nicht entgegen. Über sie sei noch nicht rechtskräftig entschieden. Die Beklagte müsse für die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG darlegen, dass sie aus der vorläufigen Vollstreckung des Weiterbeschäftigungstitels einen nicht zu ersetzenden Nachteil erleide. Dies sei nicht geschehen.

II.Über den Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Weiterbeschäftigungstitel des Arbeitsgerichts war durch den Vorsitzenden des Berufungsgerichts als dem Prozessgericht (§ 62 Abs. 2 ArbGG iVm. §§ 707 Abs. 1, 719 Abs. 1 ZPO) allein zu entscheiden, §§ 64 Abs. 7, 55 Abs. 1 Nr. 6 ArbGG.

Die Vollstreckung des Weiterbeschäftigungsanspruchs aus dem Urteil des Arbeitsgerichts war in entsprechender Anwendung von § 767 Abs. 2 ZPO einzustellen.

1.Der Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG ist mit Blick auf die vom Kläger betriebene Zwangsvollstreckung zulässig. Dem Antrag steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte im ersten Rechtszug keinen Schutzantrag nach § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG gestellt hat. Die Anträge nach § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG und § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG sind voneinander unabhängig (hM, vgl. etwa LAG Baden-Württemberg 20.01.2016 – 19 Sa 63/15, juris).

2.Gemäß § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG i. V. m. Satz 2 ArbGG, § 719 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, § 707 Abs. 1 ZPO kann die Zwangsvollstreckung aus einem Urteil, gegen das Berufung eingelegt wird, auf Antrag durch das Gericht einstweilig eingestellt werden, wenn die schuldende Partei glaubhaft macht, dass ihr die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil erbringen würde. Einen nicht zu ersetzenden Nachteil idS hat die beklagte Schuldnerin nicht dargelegt (vgl. dazu a). Macht der Schuldner jedoch im Berufungsverfahren zusätzlich zu den Angriffen gegen das Urteil nachträglich entstandene Einwendungen gegen den Titel iSv. § 767 Abs. 2 ZPO geltend, wie hier mit der Berufung auf die Folgekündigung, kann die Zwangsvollstreckung aus einem vom Arbeitsgericht ausgeurteilten allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch ausnahmsweise in einschränkender Auslegung von § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG und entsprechender Anwendung von §§ 767 Abs. 1, 769 ZPO ohne einen nicht zu ersetzenden Nachteil einzustellen sein. Dies führt hier zur einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung (dazu b).

a.Die Beklagte hat nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass ihr die Vollstreckung aus dem Weiterbeschäftigungsurteil des Arbeitsgerichts einen nicht zu ersetzenden Nachteil iSv. § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG bringen würde. Ein solcher ist mehr als ein lediglich schwer zu ersetzender Nachteil und allein dann anzunehmen, wenn er nicht abgewendet oder bei Wegfall des Vollstreckungstitels nicht durch Geld oder andere Mittel ausgeglichen werden kann (vgl. etwa LAG München 05.03.2018 – 4 Sa 823/17, mwN, juris).

aa.Die vorläufige Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Bestandsklage stellt für sich allein regelmäßig keinen unersetzbaren Nachteil i. S. von § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG dar, selbst wenn später die Wirksamkeit der Kündigung festgestellt würde. Mit der Arbeitsleistung erhält die Arbeitgeberin als Schuldnerin des Beschäftigungsanspruchs die Arbeitsleistung des Klägers und damit einen Gegenwert. Der bloße Nachteil, nicht frei handeln zu können, stellt für sich keinen nicht zu ersetzenden Nachteil dar. Es genügt auch nicht, dass ein vollzogenes Arbeitsverhältnis nicht mehr rückabwickelbar ist (BAG GS 27.02.1985 – GS 1/84, juris).

bb.Die Weiterbeschäftigung des Klägers trotz Ausspruch weiterer außerordentlicher Folgekündigungen begründet schließlich ebenfalls keinen nicht zu ersetzenden Nachteil iSv. § 62 Abs. 1 Satz 2 und 3 ArbGG. Zwar mag der Ausspruch der Folgekündigung dazu führen, dass der titulierte Rechtsanspruch auf Weiterbeschäftigung nachträglich entfällt. Dabei handelt es sich jedoch nicht um einen nicht zu ersetzenden Nachteil iSv. § 62 Abs. 1 Satz 2 und 3 ArbGG. Diese beziehen sich auf die wirtschaftlichen, persönlichen und sozialen Belange des Schuldners. Dagegen betrifft der Wegfall des dem Titel zugrunde liegenden Rechtsanspruchs die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsmittels. Auf diese kommt es erst an, wenn ein nicht zu ersetzender Nachteil glaubhaft gemacht ist. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels ganz offenkundig sind, das erstinstanzliche Urteil also offenkundig falsch ist (insoweit zutreffend LAG Baden-Württemberg 18.08.2015 – 4 Sa 19/15, juris Rn. 25 mwN). Die Feststellung, dass die Verurteilung zur Weiterbeschäftigung durch das Arbeitsgericht offensichtlich fehlerhaft und das Rechtsmittel der Beklagten demgemäß offensichtlich begründet ist, lässt sich indessen nicht treffen.

b.Gleichwohl war die Zwangsvollstreckung wegen der Folgekündigung vom 29.07.2020 einstweilen einzustellen. Bestreitet der Arbeitgeber den vom Arbeitsgericht ausgeurteilten allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch weiterhin mit dem Rechtsmittel und macht er zugleich geltend, der Anspruch sei außerdem jedenfalls nachträglich aufgrund einer nach Schluss der mündlichen Verhandlung ausgesprochenen Folgekündigung erloschen, ist hinsichtlich der nachträglichen entstandenen Einwendung (Folgekündigung) § 769 Abs. 1 ZPO auch im Berufungsverfahren analog anzuwenden (so im Ergebnis übereinstimmend LAG Berlin 14.07.1993 – 8 Sa 79/93; LAG Sachsen-Anhalt 20.09.2002 – 8 Sa 344/02; LAG Baden-Württemberg 30.06.2010-19 Sa 22/10; LAG Hamm 21.12.2010 –18 Sa 1827/10; LAG Rheinland-Pfalz 11.12.2012 – 10 Sa 422/12; LAG Hamburg 20.03.2014 – 3 Sa 2/14; LAG Düsseldorf 31.08.2020 – 4 Sa 480/20, alle juris; GMP/Schleusener ArbGG, 9. Auflage, § 62 Rz. 22a).

Die hiergegen von der Gegenmeinung (LAG Hamm 10.11.2008- 14 Sa 1507/08; LAG Baden-Württemberg 18.08.2015-4 Sa 19/15; 20.01.2016- 19 Sa 63/15; 14.12.2017 –17 Sa 84/17; LAG München 05.03.2018 – 4 Sa 823/17, alle juris; LAG Düsseldorf 04.07.2018 – 11 Sa 801/18, nv.) vorgebrachten Argumente überzeugen aus den nachfolgenden Gründen nicht. § 769 ZPO führt hier auch ohne Darlegung eines nicht zu ersetzenden Nachteils der Beklagten zur einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung.

aa.Nach zutreffender und herrschender Auffassung kann der Schuldner aus einem arbeitsgerichtlichen Urteil bei Erhebung der Vollstreckungsgegenklage wegen nachträglicher Einwendungen gemäß §§ 767 Abs. 2 ZPO, 769 ZPO die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung verlangen, ohne einen nicht zu ersetzenden Nachteil iSv. § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG darlegen und glaubhaft machen zu müssen. Dies sieht § 769 Abs. 1 ZPO nicht vor und § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG verweist insoweit ausdrücklich nur auf die Fälle der §§ 707 und 719 ZPO, nicht aber auf § 769 ZPO (hM, vgl. LAG Nürnberg 07.05.1999 – 7 Ta 89/99 zu 2 der Gründe; 29.02.2016 – 7 Ta 17/16 Rn. 16; LAG Sachsen-Anhalt 25.09.2002 – 8 Sa 344/02, Rn. 12; LAG Düsseldorf 31.08.2020 – 4 Sa 480/20, alle juris; AR/Heider 8. Aufl. § 62 ArbGG Rn. 9; GK- ArbGG/Vossen Stand Dezember 2015 § 62 Rn. 39; GMP/Schleusener 9. Aufl. § 62 Rn. 50; Düwell/Lipke/Dreher 4. Aufl. § 62 Rn. 24; ErfK/Koch 18. Aufl. § 62 ArbGG Rn. 2; aA LAG Nürnberg 5. Januar 2006 – 6 Ta 255/05 – zu II 2 der Gründe; LAG Bremen 24. Juni 1996 – 2 Ta 28/96; LAG Köln 10. Juli 2013 – 6 Ta 184/13 – zu II der Gründe mwN, alle juris; offen gelassen in BAG 05.06.2018 – 10 AZR 155/18 (A), juris Rn. 11).

Der Grund dafür, dass § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG den nicht zu ersetzenden Nachteil nicht zur Voraussetzung für die einstweilige Anordnung iSv. § 769 ZPO erhebt, liegt darin, dass die Vorschrift nur nachträglich entstandene Einwendungen gegen den im Urteil festgestellten Anspruch betrifft, die noch nicht Gegenstand eines Erkenntnisverfahrens sein konnten. Für derartige Einwendungen verlangt § 62 Abs. 1 ArbGG nicht zusätzlich noch die Glaubhaftmachung eines unersetzbaren Nachteils (LAG Sachsen-Anhalt 25.09.2002 – 8 Sa 344/02, Rn. 12; LAG Berlin vom 14.07.1993 – 8 Sa 79/93, LAGE ArbGG 1979 §62 Nr. 20). Dieser Auffassung entspricht es, dass auch die §§ 707, 719 und § 769 hinsichtlich der nicht zu ersetzenden Nachteile unterscheiden. Diese können allein in den Fällen des § 719 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 707 Abs. 1 Satz 2 und des § 719 Abs. 2 Satz 1 ZPO relevant werden, nicht aber im Falle des § 769 Abs. 1 ZPO. Schon aus diesem Grund scheidet im arbeitsgerichtlichen Verfahren eine erweiternde Auslegung des § 62 Abs. 1 Satz 3 iVm. Satz 2 ArbGG auf die Fälle des § 769 Abs. 1 ZPO aus (GMP/Schleusener 9. Aufl. § 62 Rn. 50).

Es dürfte auch nicht dem auf eine Beschränkung des Schuldnerschutzes (“nicht zu ersetzende Nachteile”) zielenden Gesetzeszweck des § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG entsprechen, dem Schuldner auch bei nachträglichem Wegfall des titulierten Anspruchs den von der ZPO allgemein vorgesehenen Schutz des § 769 ZPO zu entziehen, um Ansprüche im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzbar zu machen, die letztlich materiell nicht gegeben sind (LAG Hamm 21. 12.2010 – 18 Sa 1827/10, juris; LAG Hamburg 20.03.2014 – 3 Sa 2/14, alle juris).

bb.Ist somit in den Fällen der §§ 767 Abs. 2, 769 ZPO die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Glaubhaftmachung eines nicht zu ersetzenden Nachteils möglich, bedarf § 62 Abs. 1 Satz 2 und 3 ArbGG, der in den Fällen der §§ 707 Abs. 1 und 719 Abs. 1 ZPO, also insbesondere bei Einlegung eines Rechtsmittels, für die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil verlangt, der einschränkenden Auslegung, soweit der Schuldner, der gegen das zu vollstreckende Urteil Rechtsmittel einlegt hat, zugleich nachträglich entstandene Einwendungen iSv. § 767 Abs. 2 ZPO gegen den titulierten Anspruch erhebt. Die Kammer hält an ihrer den Parteien mitgeteilten Rechtsprechung fest (LAG Düsseldorf 31.08.2020 – 4 Sa 480/20, juris).

(1)Die teleologische Reduktion (Einschränkung) ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die nach ihrem Wortlaut anzuwendende Vorschrift hinsichtlich eines Teils der von ihr erfassten Fälle für gleichwohl unanwendbar hält, weil Sinn und Zweck, Entstehungsgeschichte und Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelung gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprechen (BAG 22.10.2015 – 2 AZR 381/14BAGE 153, 102; BSG 04.12.2014 – B 2 U 18/13 RBSGE 118, 18). Sie setzt voraus, dass der gesetzessprachlich erfasste, dh. der gesetzlich in bestimmter Weise geregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes nach einer anderen Entscheidung verlangt als die übrigen geregelten Fälle, um Wertungswidersprüche zu vermeiden (BAG 27.09.2017 – 7 AZR 629/15; 22.10.2015 – 2 AZR 381/14, aaO.; 21.02.2013 – 2 AZR 433/12ZTR 2013, 518).

(2)Ein solcher Fall liegt hier vor. Es ist widersprüchlich und durch sachliche Gründe nicht zu rechtfertigen, höhere Anforderungen an den Vollstreckungsschutz wegen nachträglich entstandener Einwendungen gegen einen Titel zu stellen, wenn zusätzlich anfängliche Einwendungen gegen den Titel im Wege eines Rechtsmittels erhoben werden. Es verstößt gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), dem Schuldner bei Erhebung lediglich nachträglicher Einwendungen (Vollstreckungsgegenklage) Vollstreckungsschutz gegen einen arbeitsgerichtlichen Titel zu gewähren (§§ 767 Abs. 2, 769 ZPO), diesen Schutz aber von erschwerten Voraussetzungen (nicht zu ersetzender Nachteil) abhängig zu machen, wenn der Schuldner zusätzlich zu den nachträglichen Einwendungen das Urteil für anfänglich fehlerhaft hält und mit dem Rechtsmittel angreift (§ 62 Abs. 1 Satz 2 und 3 ArbGG iVm. §§ 701 Abs 1, 719 Abs. 1 ZPO). Hinsichtlich der nachträglich entstandenen Einwendungen ist § 62 Abs. 1 Satz 2 und 3 ArbGG daher einschränkend auszulegen und § 769 ZPO entsprechend anzuwenden.

Es gibt keinen sachlichen Grund dafür, dass der vom Gesetz in § 769 Abs. 1 ZPO für nachträglich entstandene Einwendungen gewährte Schutz des Schuldners dann entfallen oder eingeschränkt werden soll, wenn dieser das Urteil außerdem für fehlerhaft hält und Rechtsmittel einlegt. Der Umstand, dass der Schuldner aus einem Beschäftigungstitel neben nachträglichen Einwendungen iSv. § 767 Abs. 2 ZPO (Folgekündigung) außerdem ursprüngliche Einwendungen gegen den Anspruch erhebt (wirksame Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der ersten Kündigung) und so den Vollstreckungstitel mit dem Rechtsmittel noch umfassender angreift als mit der bloßen Vollstreckungsabwehrklage, rechtfertigt in Bezug auf die nachträglichen Einwendungen keine Beschränkung seines Schuldnerschutzes unter das Maß des § 769 ZPO (durch das zusätzliche Erfordernis der Darlegung eines nicht zu ersetzenden Nachteils).

Der Schuldner kann nicht darauf verwiesen werden, neben der Einlegung des Rechtsmittels zusätzlich Vollstreckungsabwehrklage gegen das Urteil zu erheben. Die Einlegung des Rechtsmittels versperrt dem Schuldner nach hM wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses den Weg zur Vollstreckungsabwehrklage und somit zur direkten Anwendung des § 769 Abs. 1 ZPO (BAG 28.03.1985 – 2 AZR 548/83, juris; MüKo-ZPO/Schmidt/Brinkmann, 5. Aufl. 2016, § 767 Rn. 14 mwN). Diese Rechtsprechung beruht auf der prozessökonomischen Erwägung, dass der weitergehende Angriff gegen das Urteil, also das Rechtsmittel, das Ziel der Vollstreckungsabwehrklage mitumfasst. Dadurch darf aber nicht der Schutz des § 769 Abs. 1 ZPO ausgehebelt werden, sonst würde das Rechtsmittel den Schutz der Vollstreckungsabwehrklage gerade nicht vollständig mitumfassen.

Dem Schuldner ist auch nicht zuzumuten, sich anstelle des Rechtsmittels für die Vollstreckungsabwehrklage zu entscheiden. Dies setzte zum einen voraus, dass er diese Einwendungen bei Einlegung des Rechtsmittels kannte, was aber nur ausnahmsweise der Fall sein dürfte. Zum anderen hätte es jedenfalls zur Folge, dass der Schuldner die materielle Rechtskraft und die Kostenlast des von ihm für unzutreffend gehaltenen Urteils hinnehmen müsste, da diese von der Vollstreckungsabwehrklage nicht berührt werden (BAG 28.03.1985 – 2 AZR 548/83, juris Rn. 29 mwN). Dafür gibt es keine Rechtfertigung.

Die Erschwerung des Vollstreckungsschutzes durch die Darlegung und Glaubhaftmachung nicht zu ersetzender Nachteile ist nicht vernachlässigenswert. Sie kann erheblich sein und – wie der Fall zeigt – die Einstellung der Zwangsvollstreckung bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits und somit unter Umständen über Jahre hinauszögern. Dies, obwohl der vollstreckbare Anspruch wegen der Folgekündigung möglicherweise offenkundig entfallen ist. Eine solche Rechtsfolge dürfte dem von § 62 Abs. 1 Satz 3 iVm. Satz 2 ArbGG verfolgten Zweck, die Vollstreckbarkeit arbeitsgerichtlicher Urteile durch Einschränkung des Schuldnerschutzes zu erleichtern, nicht mehr entsprechen.

(3)Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber die hier gegebene Konstellation eines Rechtsmittels, das neben ursprünglichen Einwendungen gegen den Klageanspruch zugleich nachträgliche Einwendungen iSv. § § 767 Abs. 2 ZPO vorbringt, und insbesondere die aus dem Zusammentreffen von Regelungen aus dem Arbeitsgerichtsgesetz (§ 62 Abs. 1 Satz 2 und 3 ArbGG) und der Zivilprozessordnung (§ 769 ZPO) zur einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung folgenden Konsequenzen bedacht und in seinen Willen aufgenommen hätte (so bereits LAG Düsseldorf 31.08.2020 – 4 Sa 480/20, juris; aA LAG Düsseldorf 04.07.2018 – 11 Sa 801/18, nv; LAG München 05.03.2018 – 4 Sa 823/17, juris). Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich dafür nichts. Auch die Gesetzeshistorie lässt nicht darauf schließen. Allein die mehrfache Änderung von § 62 ArbGG spricht nicht für einen der hier vertretenen einschränkenden Auslegung entgegenstehenden Willen des Gesetzgebers. Der eher versteckt liegende Wertungswiderspruch und Verstoß gegen den Gleichheitssatz ist in der Rechtsprechung bislang nur vereinzelt zutage getreten (vgl. die oben angeführten Entscheidungen) und hat insbesondere in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts mangels eröffneten Rechtsweges kaum Niederschlag gefunden (erwähnt in BAG 05.06.2018 – 10 AZR 155/18 (A)). Bei diesem Bild ist der aufgezeigte Wertungswiderspruch zu eklatant, als dass angenommen werden könnte, der Gesetzgeber habe ihn tatsächlich gewollt.

cc.Aus der teleologischen Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 62 Abs. 1 Satz 2 und 3 ArbGG folgt zugleich, dass § 769 ZPO analog anzuwenden ist, soweit der Schuldner neben dem Rechtsmittel zugleich nachträgliche Einwendungen iSv. § 767 Abs. 2 ZPO erhebt. Denn nur so kann der aufgezeigte Wertungswiderspruch, der die teleologische Reduktion von § 62 Ab. 1 Satz 2 und 3 ArbGG gebot, vermieden werden. Die für eine entsprechende Anwendung von § 769 ZPO erforderliche Gesetzeslücke ist infolge der gebotenen einschränkenden Auslegung von § 62 Abs. 1 Satz 2 und 3 ArbGG aufgetreten.

Die entsprechende Anwendung ist auch praktikabel. Die Rechtsfolgen von § 719 Abs. 1 iVm. § 707 Abs. 1 ZPO einerseits und § 769 ZPO andererseits decken sich in den hier betroffenen Fällen weitgehend. In beiden Fällen reicht die Anordnung der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung bis zum Erlass des Urteils. Die abweichenden Regelungen in Bezug auf die Forderung einer Sicherheitsleistung, die nach hM im arbeitsgerichtlichen Verfahren im Falle des § 769 Abs. 1 ZPO möglich (GK-ArbGG/Vossen Stand Dezember 2015 § 62 Rn. 39 mwN), in den Fällen der §§ 707719 ZPO dagegen gemäß § 62 Abs. 1 Satz 4 ArbGG ausgeschlossen ist, können bei der analogen Anwendung von § 769 ZPO grundsätzlich berücksichtigt werden. Im vorliegenden Fall spielen sie keine Rolle, weil der zu vollstreckende vorläufige Weiterbeschäftigungsanspruch das ideelle Beschäftigungsinteresse sichert, nicht aber das Interesse an der Vergütungszahlung (BAG 27.05.2020 – 5 AZR 247/19, juris Rn. 23, 27). Eine Sicherheitsleistung für das ideelle Beschäftigungsinteresse scheidet aus tatsächlichen Gründen aus.

dd.Die sonstigen Voraussetzungen für eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung in entsprechender Anwendung von § 769 Abs. 1 ZPO sind erfüllt.

(1)Gemäß § 769 ZPO kann das Prozessgericht auf Antrag die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung mit oder ohne Sicherheitsleistung anordnen, bis über die nachträglich entstandenen Einwendungen gegen den im Urteil festgestellten Anspruch entschieden ist. Die Beklagte ist mit ihrer Einwendung gegen den titulierten Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers nicht gemäß § 767 Abs. 2 ZPO präkludiert. Die Kündigung vom 22.12.2021 ist erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung im erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren (Schlussurteil vom 15.12.2012) ausgesprochen worden.

(a)Der Erlass einer Anordnung nach § 769 ZPO ist in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung ist ausgeschlossen, wenn für den Antragsteller im Hauptverfahren keinerlei Erfolgsaussichten bestehen. In den übrigen Fällen kommt es auf die Abwägung der gegenläufigen Schutzbedürfnisse von Gläubiger und Schuldner an. Da das Gesetz die Interessen des Gläubigers im Verhältnis zum Schuldner in den Vordergrund stellt, hat der Schuldner sein Schutzbedürfnis darzulegen und nach § 769 Abs. 1 Satz 3 ZPO glaubhaft zu machen, dass es in angemessenem Verhältnis zu den Aussichten des in der Hauptsache eingeleiteten Rechtsstreits steht und das Interesse des Gläubigers an der Durchführung der Zwangsvollstreckung überwiegt (BGH 4. Januar 2017 – I ZR 64/16 – Rn. 9; 4. Mai 2016 – I ZR 64/16 – Rn. 9; BAG 05.06.2018 – 10 AZR 155/18 (A) mwN).

Bei der gebotenen Abwägung ist maßgeblich auf die Aussichten des Rechtsbehelfs abzustellen. Die in § 767 Abs. 2 ZPO genannten Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Anspruch aus dem Urteil müssen überwiegende Aussichten auf Erfolg bieten (Zöller/Herget, aaO, § 769 Rn. 6 mwN). § 769 ZPO erfordert nach zutreffender Auffassung – wie oben unter II 2 b aa dargelegt – auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren keinen nicht zu ersetzenden Nachteil iSv. § 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG.

(b) Danach ist davon auszugehen, dass der titulierte Anspruch infolge der außerordentlichen Folgekündigung der Beklagten vom 22.12.2021 entfallen ist, was hier die Einstellung der Zwangsvollstreckung rechtfertigt.

(aa)Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts beendet eine erneute Kündigung des Arbeitgebers den vorläufigen Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers, sofern die Kündigung nicht offensichtlich unwirksam ist oder – was hier nicht der Fall ist – auf dieselben Gründe gestützt wird, die bereits nach Auffassung des Arbeitsgerichts für die erste Kündigung nicht ausgereicht haben. Eine Kündigung ist dann offensichtlich unwirksam, wenn sich ihre Unwirksamkeit bereits aus dem unstreitigen Sachverhalt ohne Beurteilungsspielraum jedem Kundigen aufdrängt, d.h. die Unwirksamkeit ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht offen erkennbar ist (BAG 19.12.1985 – 2 AZR 190/85, AP Nr. 17 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht). Dem Antrag der Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ist mithin stattzugeben, sofern die erneute Kündigung der Beklagten vom 22.12.2021 nicht offensichtlich unwirksam im vorgenannten Sinne ist.

(bb)Danach ist der im Schlussurteil des Arbeitsgerichts zugesprochene Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers nachträglich entfallen. Die Beklagte hat diese Kündigung auf einen gegenüber den Gründen der Kündigungen vom 18.06.2021 und 07.09.2021 neuen Lebenssachverhalt gestützt (verleumderische Behauptungen über die Geschäftsführerin). Die Unwirksamkeit dieser Kündigung drängt sich auch nicht ohne Beweiserhebung und ohne Beurteilungsspielraum auf. Auf der Grundlage des Vorbringens der Parteien lässt sich nicht ohne weiteres die Feststellung treffen, dass die Kündigung vom 22.12.2021 haltlos und offenkundig unwirksam wäre.

3.Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 62 Abs. 1 Satz 5 ArbGG, §§ 719 Abs. 1 Satz 1, 707 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Dies gilt in entsprechender Anwendung auch für Entscheidungen nach § 769 ZPO (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 32. Aufl. § 769 Rn. 13 mwN).