§ 9 BUrlG findet keine analoge Anwendung, wenn ein nicht arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer während seines Urlaubs aufgrund einer Absonderungsanordnung des Gesundheitsamtes wegen eines Ansteckungsverdachts mit einer Covid 19 – Infektion das Haus nicht verlassen darf.

Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 03.08.2021 – Az. 3 Ca 362 b/21 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger einen Teil seines Jahresurlaubs für das Jahr 2020 nach zu gewähren.

Der Kläger ist seit 1986 bei der Beklagten als „Team-Arbeitsvorbereiter Fertigung PT-3“ zuletzt auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 09.05.2005 (Anlage B 1) beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beidseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag für die Metallindustrie Hamburg und Umgebung, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern (MTV) Anwendung. Dem Kläger stehen bei einer 5-Tage-Woche 30 Arbeitstage Urlaub zu.

Für die Zeit vom 23.12. bis zum 31.12.2020 beantragte der Kläger die Gewährung von sechs Tagen Erholungsurlaub, den die Beklagte gewährte und ihm auch das Urlaubsentgelt hierfür zahlte. Wegen eines Kontakts zu einer an Covid-19 erkrankten Person ordnete das zuständige Gesundheitsamt am 21.12.2020 gegenüber dem Kläger die „Absonderung“ nach § 30 IfSG an. Ausweislich des hierzu ergangenen schriftlichen Bescheids vom 04.01.2021 (Bl. 78 d. Berufungsakte) durfte der Kläger in der Zeit vom 21.12.2020 bis zum 04.01.2021 seine Wohnung nicht verlassen und musste den Empfang von Besuchen sowie den Kontakt zu Mitbewohnern und Angehörigen auf das Notwendigste beschränken. Arbeitsunfähig erkrankt war der Kläger nicht.

Mit Schreiben vom 09.02.2021 (Anlage B 3) verlangte der Kläger von der Beklagten ihm sechs Urlaubstage gut zu schreiben. Wegen der angeordneten Quarantäne sei die Anrechnung der Zeit vom 23.12. bis zum 31.12.2020 auf seinen Jahresurlaub unzulässig. Dies lehnte die Beklagte ab.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm weitere sechs Tage Urlaub für das Jahr 2020 zu gewähren.

Er hat seinen Antrag erstinstanzlich mit einer analogen Anwendung des § 9 BUrlG auf den vorliegenden Sachverhalt begründet und dies im Einzelnen ausgeführt.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Urlaubsanspruch des Klägers sei durch Erfüllung erloschen. Der Umstand, dass für den Kläger eine Quarantäne angeordnet worden sei, falle mangels anderweitiger Regelung in dessen Risikobereich. Die Voraussetzungen für eine Analogie zu § 9 BUrlG lägen nicht vor.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG auf den vorliegenden Sachverhalt komme nicht in Betracht. Es fehle schon an einer planwidrigen Lücke. Bei der Schaffung von § 9 BUrlG sei die Unterscheidung zwischen Krankheit und bloß seuchenbezogenen Risiken bereits bekannt gewesen. Die dem gegenüber zitierte Rechtsprechung des BGH aus dem Jahr 1978 überzeuge nicht. Auch sei § 9 BUrlG nach der Rechtsprechung des BAG eng auszulegen. Es komme nicht auf das Maß der Einschränkung des Urlaubsgenusses an, da dieses Kriterium nicht hinreichend sicher abzugrenzen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die angefochtene Entscheidung verwiesen.

Gegen das am 16.08.2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 01.09.2021 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 18.11.2021 am 18.11.2021 begründet.

Er wiederholt und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag wie folgt: Die restriktive Sicht des Arbeitsgerichts auf § 9 BUrlG in Verbindung mit den Regeln des IfSG werde der pandemischen Lage nicht gerecht. Bereits aus den Gesetzesmaterialien zum Bundesseuchengesetz (BSeuchG) als Vorgängerregelung zum IfSG sei zu entnehmen, dass die in § 48 Abs. 1 S. 1 BSeuchG betroffenen Personen, nämlich Ausscheider, Ausscheidungsverdächtige und – wie der Kläger im vorliegenden Fall – Ansteckungsverdächtige vom Schicksal her in ähnlicher Weise betroffen seien wie Kranke. An dieser Betrachtungsweise sei bei Inkrafttreten des IfSG nichts geändert worden. Vor diesem Hintergrund sei auch die Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1978 zu betrachten. Dieser habe die Rechtsprechung des BAG zum damaligen Zeitpunkt gekannt; diese sei vom BAG auch später nicht vollständig aufgegeben worden. Das BAG habe einen Fall entschieden, in dem die Ursache der Unmöglichkeit den Urlaub zu Erholungszwecken zu nutzen, ausschließlich in der Privatsphäre des Arbeitnehmers gelegen habe. Das sei auf den vorliegenden Sachverhalt nicht übertragbar. Der Möglichkeit einer analogen Anwendung stehe auch das Urteil des BAG vom 09.08.1994 – 9 AZR 384/92 – nicht entgegen. § 9 BUrlG sei im Rahmen seines Sinns und Zwecks analogiefähig. Die Auffassung, Ausnahmevorschriften seien einer Analogie nicht zugänglich, träfe nicht zu.

Dem Arbeitgeber würden bei dieser Betrachtungsweise auch keine zusätzlichen Kosten auferlegt, da für den Zeitraum des Urlaubs ein Anspruch nach § 56 IfSG bestehe. Wegen dieser Kosten habe der Arbeitgeber einen eigenen Erstattungsanspruch gegenüber den zuständigen Behörden. Dies entspreche im Übrigen auch der Auffassung des Bundesgesundheitsministeriums.

Die häusliche Quarantäne stelle einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte des Arbeitnehmers dar und sei – entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts – mit den Einschränkungen bei „normaler Arbeitsunfähigkeit“ durchaus vergleichbar. Auch der EuGH stelle in seiner Rechtsprechung zum Urlaub darauf ab, dass dieser eine selbstbestimmte Freizeitgestaltung ermögliche.

Die bestehende Lücke in der Gesetzeslage sei auch planwidrig. Die epidemische Lage sei nahezu ausschließlich im Verordnungswege geregelt worden. Der Gesetzgeber habe dabei jeweils auf bestimmte Situationen reagiert. Angesichts der unübersichtlichen Lage anzunehmen, es seien sämtliche Fallkonstellationen erkannt und planmäßig geregelt worden, erscheine abwegig.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 03.08.2021 – Az. 3 Ca 362 b/21 – abzuändern und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger weitere 6 Tage Urlaub aus dem Jahr 2020 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts und vertieft ihre erstinstanzlichen Ausführungen wie folgt: Für eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG auf den zu entscheidenden Sachverhalt lägen die Voraussetzungen nicht vor. Es bestehe weder eine planwidrige Regelungslücke noch sei die Interessenlage im vorstehenden Fall mit der in § 9 BUrlG vergleichbar. Der Gesetzgeber habe nur den Fall geregelt, dass Krankheit nicht auf den Urlaub angerechnet werde und diesen Grundsatz in § 10 BUrlG auf die dort geregelten Kur- und Heilverfahren erweitert. Bezogen auf den Fall einer Quarantäneanordnung habe der Gesetzgeber mehrfach die Möglichkeit gehabt, diese dem in § 9 BUrlG geregelten Sachverhalt gleichzustellen. Dies sei nicht geschehen, was das Fehlen einer planwidrigen Lücke belege.

Es fehle auch an einer vergleichbaren Interessenlage. Der Kläger könne auch in Quarantäne seinen Urlaub realisieren. Schließlich sei es dem Kläger nicht generell verboten gewesen, seine Wohnung zu verlassen. Auch der vom Kläger zitierten Entscheidung des BGH lasse sich entnehmen, dass das Erreichen eines bestimmten Urlaubszwecks seitens des Arbeitgebers nicht geschuldet sei. Soweit der Kläger eine Einschränkung seiner Grundrechte moniere, habe der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid einlegen können.

Ergänzend wird auf den Inhalt der Akte Bezug genommen.

Gründe
Die gemäß § 64 Abs. 2 lit. b ArbGG statthafte, form- und fristgemäß eingelegte und begründete und damit zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat den Feststellungsantrag des Klägers zu Recht abgewiesen.

Die als allgemeine Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger kann nicht die Feststellung verlangen, dass ihm sechs Urlaubstage aus dem Jahr 2020 nachzugewähren sind. Ein entsprechender Anspruch besteht nicht.

A.

Der Urlaubsanspruch des Klägers im Umfang der hier in Rede stehenden sechs Arbeitstage ist erfüllt und damit gemäß § 362 Abs. 1 BGB erloschen.

I. Mit der Festlegung des Urlaubszeitraums (und der vorbehaltlosen Zusage des Urlaubsentgelts) hat der Arbeitgeber als Schuldner das nach § 7 Abs. 1 BUrlG Erforderliche getan (§ 243 Abs. 2 BGB). Alle danach eintretenden urlaubsstörenden Ereignisse fallen entsprechend § 275 Abs. 1 BGB als Teil des persönlichen Lebensschicksals grundsätzlich in den Risikobereich des einzelnen Arbeitnehmers. Nur soweit der Gesetzgeber oder die Tarifvertragsparteien – wie in §§ 9, 10 BUrlG – besondere Regelungen zur Nichtanrechnung von Urlaub treffen, findet eine Umverteilung des Risikos zu Gunsten des Arbeitnehmers statt (BAG, Urteil vom 25.08.2020 – 9 AZR 612/19 – Juris, Rn. 29). Dabei ist die Urlaubserteilung des Arbeitgebers jedenfalls im bestehenden Arbeitsverhältnis nach Treu und Glauben gesetzeskonform so zu verstehen (§ 157 BGB), dass der Arbeitgeber damit zugleich streitlos stellt, dass er für den gewährten Urlaub dem Grunde nach zur Zahlung von Urlaubsentgelt nach den gesetzlichen Vorgaben und etwaigen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen verpflichtet ist, sofern dem nicht konkrete Anhaltspunkte entgegenstehen (BAG, Urteil vom 30.01.2019 – 5 AZR 43/18 – Juris, Rn. 45).

II. Danach ist hier der Urlaubsanspruch des Klägers im Umfang von sechs Tagen erfüllt. Die Beklagte hat dem Kläger vorbehaltslos den von ihm für die Zeit vom 23. – 31.12.2020 beantragten Erholungsurlaub gewährt. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist in der vorbehaltlosen Erteilung zugleich die konkludente Zusage der Zahlung des Urlaubsentgelts zu sehen. Damit ist der Urlaubsanspruch des Klägers nach allgemeinen Grundsätzen erloschen. Tatsächlich hat die Beklagte das Urlaubsentgelt auch gezahlt, wie der Kläger im Berufungstermin bestätigt hat.

B.

Ein Ausnahmesachverhalt, der die Aufrechterhaltung des Urlaubsanspruchs kraft tariflicher oder gesetzlicher Vorschrift zu Gunsten des Klägers regelt, besteht nicht.

I. Der Erholungsurlaub des Klägers in der Zeit vom 23. – 31.12.2020 ist nicht nach § 11 Nr. 3.4 MTV mit der Folge bezahlter Freizeit unterbrochen worden. Die in § 11 Nr. 3.4 in Bezug genommenen Fälle der Arbeitsverhinderung nach § 11 Nr. 3.1 MTV (Tod des Ehegatten, eines eigenen Kindes, der Eltern oder Schwiegereltern sowie Teilnahme an einer Beerdigung), die zu einer Unterbrechung des Erholungsurlaubs führen, liegen nicht vor.

II. Die Beklagte ist auch nicht nach § 9 BUrlG zur Nachgewährung des Urlaubs verpflichtet.

Gemäß § 9 BUrlG werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage einer Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers während seines Urlaubs auf den Jahresurlaub nicht angerechnet. Die Voraussetzungen der Norm liegen nicht vor. Der Kläger war im Urlaubszeitraum unstreitig nicht arbeitsunfähig erkrankt. Allein sein Bewegungskreis war nach Maßgabe des Bescheids der Stadt N. vom 04.01.2021 eingeschränkt.

C.

§ 9 BUrlG ist auf den vorstehenden Sachverhalt auch nicht analog anzuwenden.

I. Zur wortsinnübersteigenden Gesetzesanwendung durch Analogie bedarf es einer besonderen Legitimation. Die analoge Anwendung einer Norm setzt voraus, dass eine vom Gesetzgeber unbeabsichtigt gelassene Lücke vorliegt und diese Planwidrigkeit aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden kann. Anderenfalls könnte jedes Schweigen des Gesetzgebers – also der Normalfall, wenn er etwas nicht regeln will – als planwidrige Lücke aufgefasst und diese im Wege der Analogie von den Gerichten ausgefüllt werden. Analoge Gesetzesanwendung erfordert darüber hinaus, dass der gesetzlich ungeregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nach der gleichen Rechtsfolge verlangt wie die gesetzessprachlich erfassten Fälle. Richterliche Rechtsfortbildung darf nicht dazu führen, dass ein Gericht seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzt (BAG, Urteil vom 10.12.2013 – 9 AZR 51/13 – Juris, Rn. 23).

II. Danach kommt eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG vorliegend nicht in Betracht. Es fehlt sowohl an einer planwidrigen Lücke als auch an einer vergleichbaren Interessenlage (im Ergebnis ebenso: LAG Düsseldorf v. 15.10.2021 – 7 Sa 857/21 – juris; ausdrücklich zustimmend: Gaul, Aktuelles Arbeitsrecht Band 2/21, S. 497; LAG Köln v. 13.12.2021 – 2 Sa 488/21 – juris; Hein/Tophof, Folgen einer Quarantäneanordnung während bewilligten Urlaubs, in: NZA 2021, 601; a.A.: LAG Hamm v. 02.12.2021 – 5 Sa 1030/21; Bayreuther, Einseitige Urlaubsgewährung durch Arbeitgeber und Urlaub während Kurzarbeit, in: NZA 2020, 1057, 1062).

1. Für den Fall der Anordnung einer Absonderung nach § 30 IfSG, die nicht mit einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers verbunden ist, ist nicht geregelt, was mit dem einem Arbeitnehmer bereits bewilligten Urlaub geschieht. Das IfSG sieht für diesen Fall keine Rechtsfolgen vor, das BUrlG – wie gerade dargestellt – ebenfalls nicht. Diese Lücke in den gesetzlichen Regelungen ist aber nicht planwidrig.

a. Die Begriffe „Krankheitsverdächtigter“, „Ausscheider“ und – auf den Kläger des vorliegenden Falls zutreffend – „Ansteckungsverdächtiger“ sind als gesetzliche Kategorien seit langem bekannt. Sie wurden bereits im BSeuchG verwendet und sind unverändert in § 2 Nrn. 5, 6, 7 IfSG übernommen worden. Ebenfalls seit langer Zeit, nämlich seit mehr als 25 Jahren vertritt das BAG durchgehend die Auffassung, eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG auf andere ähnlich gelagerte Sachverhalte komme wegen des Ausnahmecharakters der Norm nicht in Betracht (BAG v. 09.08.1994 – 9 AZR 384/92 – zur analogen Anwendung bei einem Beschäftigungsverbot nach dem MuSchG; BAG v. 10.05.2005 – 9 AZR 251/04 – zur analogen Anwendung auf Einsatzzeiten als THW-Helfer, zuletzt: BAG v. 25.08.2020 – 9 AZR 612/19). In der letztgenannten Entscheidung führt das BAG wörtlich aus: „Die Be-stimmungen der §§ 9, 10 BUrlG sind nicht verallgemeinerungsfähige Ausnahmevorschriften. Ihre entsprechende Anwendung auf andere urlaubsstörende Ereignisse oder Tatbestände, aus denen sich eine Beseitigung der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers ergibt, kommt grundsätzlich nicht in Betracht“ (Rn. 29).

b. Der Gesetzgeber hat diese Entscheidungen des BAG auch zur Kenntnis genommen. Nach der Entscheidung des BAG vom 09.08.1994 hat er mit der Einfügung von (jetzt) § 24 S. 2 MuSchG reagiert, um sicherzustellen, dass der Anspruch auf Urlaub, den eine Arbeitnehmerin gewährt bekommen (erhalten im Sinne von § 24 S. 2 MuSchG) hat, der aber wegen eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots nicht genommen werden kann, nicht erlischt. Hätte der Gesetzgeber auch für den Fall einer Absonderung nach § 30 IfSG, sei es bereits nach Verkündung der entsprechenden Entscheidungen des BAG, sei es im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie das Erlöschen des Urlaubsanspruchs verhindern wollen, hätte es nahegelegen, Entsprechendes im IfSG zu regeln (ähnlich: Hein/Tophof, aaO, S. 603). Da dies nicht geschehen ist, geht die Kammer nicht von einer planwidrigen Lücke im Gesetz aus.

c. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, angesichts der Entscheidung des BGH vom 30.11.1978 – III ZR 43/77 – habe es einer gesetzlichen Regelung nicht bedurft. Dagegen sprechen mehrere Gründe:

Zum einen sind die gerade genannten Entscheidungen des BAG zeitlich alle deutlich nach der Entscheidung des BGH getroffen worden, die letzte Entscheidung bereits zu Pandemiezeiten im August 2020. Dort lässt das BAG an einer mangelnden Analogiefähigkeit des § 9 BUrlG keinen Zweifel. Vor diesem Hintergrund konnte der Gesetzgeber nicht davon ausgehen, dass eine über 40 Jahre alte Entscheidung des BGH noch der Rechtslage entsprach.

Unter methodischen Gesichtspunkten ist ferner festzustellen, dass der BGH sich in seiner Entscheidung mit der Frage einer planwidrigen Lücke des Gesetzes überhaupt nicht beschäftigt hat, sondern allein auf die – aus seiner Sicht bestehende – vergleichbare Interessenlage abgestellt und hiermit die Möglichkeit einer Analogie begründet hat.

Hinzu kommt, dass das BGH auch gar nicht entschieden hat, dass der Kläger jenes Verfahrens, der vom BGH seuchenrechtlich als „Ausscheider“, aber nicht „krank im Sinne des BUrlG“ eingestuft worden war, generell seinen Urlaub nicht in Anspruch nehmen konnte. Vielmehr hat das BGH gerade wegen dieser Frage den Fall zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts an die vorherige Instanz zurückverwiesen (Rn. 16). Aus der BGH-Entscheidung konnte der Gesetzgeber also nicht schließen, dass für den Fall einer Absonderung im Sinne des § 30 IfSG, die nicht mit einer Arbeitsunfähigkeit verbunden ist, generell der Urlaub nachzugewähren ist. Soweit sich der Kläger für seine Auffassung auf das Bundesministerium für Gesundheit beruft, dass auf seiner Website zu der hier streitigen Frage auf die BGH-Entscheidung verweist, ist festzuhalten, dass das Ministerium erkennbar nur seine Rechtsmeinung zu dieser Frage vertritt. Die Kammer folgt dieser Einschätzung nicht. Sie geht mit der Rechtsprechung des BAG davon aus, dass der Arbeitgeber mit der Festlegung des Urlaubszeitraums und der Zusage des Urlaubsentgelts das nach § 7 Abs. 1 BUrlG Erforderliche getan hat; einen Urlaubserfolg schuldet er nicht (BAG v. 25.08.2020 – 9 AZR 612/19 – Rn. 29).

d. Gegen die Analogiefähigkeit von § 9 BUrlG sprechen auch Sinn und Zweck der Vorschrift. Mit ihr hat der Gesetzgeber bei Inkrafttreten des BUrlG 1963 einen hergebrachten Grundsatz des Urlaubsrechts kodifiziert (Hein/Tophof, aaO, S.601 unter Hinweis auf die BT-Drucks. IV/785, S. 4). Dieser Grundsatz geht dahin, dass eine eintretende Arbeitsunfähigkeit den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers nicht mindern soll. Es handelt sich um einen Sonderfall als Ausnahme von den allgemeinen Regeln des Zivilrechts. Über andere Sachverhalte – insbesondere den hier beim Kläger bestehenden Ansteckungsverdacht – ist damit nichts gesagt.

2. Auch ist der Fall der Absonderungsanordnung unter Berücksichtigung des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nicht mit der Arbeitsunfähigkeit während des Urlaubs gleichzusetzen. Dies kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil es Vorgaben für den Arbeitnehmer, wie er seinen Urlaub zu verbringen hat, nicht gibt. § 8 BUrlG verbietet allein eine dem Urlaubszweck widersprechende Erwerbstätigkeit. Der Urlaubszweck selbst ist die Erholung (ErfKomm-Gallner, 22. Auflage 2022, § 1 BUrlG, Rn.4) Wie der Arbeitnehmer sich erholt, bleibt ihm überlassen. Er kann den Urlaub auch während der ganzen Zeit zuhause spielend vor der PC-Konsole oder im Wohnzimmer liegend verbringen. In diesen Fällen wird er durch eine Absonderung überhaupt nicht in der Verwirklichung des Urlaubszwecks beeinträchtigt. Bei einer Analogie kommt es jedoch auf die typische Vergleichbarkeit an und nicht auf den im Einzelfall festzustellenden Grad der Beeinträchtigung (BAG v. 09.08.1994, 9 AZR 384/92 – Rn. 34; im Ergebnis ebenso: Hein/Tophof, aaO., S. 604; ähnlich LAG Düsseldorf, aaO, Rn. 39 – 46). Die analoge Anwendung von § 9 BUrlG kann danach nicht davon abhängen, wie ein Arbeitnehmer im konkreten Fall beabsichtigte, seinen Urlaub zu verbringen.

III. Europarechtliche Fragestellungen, die eine Anfrage beim EuGH erfordern, wirft der vorliegende Rechtsstreit nicht auf (a.A. für einen vergleichbaren Sachverhalt offensichtlich LAG Hamm, a.a.O.). Der europarechtlich gewährte Mindesturlaub des Klägers wird durch die vorstehende Entscheidung nicht betroffen. Dem Kläger stehen bei einer 5-Tage-Woche 30 Arbeitstage Urlaub zu. Bei den hier in Rede stehenden sechs Arbeitstagen bleibt damit der Mindesturlaub des Klägers von 24 Werktagen unberührt.

D.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der hier in Rede stehenden Rechtsfrage nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen worden.