In Sachen
Beklagte, Berufungsklägerin und Revisionsklägerin,
pp.
Kläger, Berufungsbeklagter und Revisionsbeklagter,
hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Ver-handlung vom 18. Juni 2015 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesar-beitsgericht Kreft, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Berger, den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Niemann sowie die ehrenamtlichen Richter Beckerle und Dr. Grimberg für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 15. Januar 2014 – 2 Sa 66/12 – im Kostenpunkt und insoweit aufgeho-ben, wie es ihre Berufung gegen die Entscheidung über den Kündigungsschutz- und den Weiterbeschäftigungs-antrag in dem Urteil des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven vom 19. Januar 2012 – 7 Ca 7039/11 – zurückgewiesen hat.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.
Die Beklagte vertrieb Schienen und anderes für den Gleisbau benötig-tes Material. Mit diesen Produkten belieferte sie die D AG. In den Jahren 2011 und 2012 beschäftigte sie regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Bei ihr war – für den „Bereich B“ – ein Betriebsrat gebildet. Die im Rahmen der Auf-tragsabwicklung benötigten Schienen bezog die Beklagte von der TSTG GmbH & Co. KG (im Folgenden: TSTG) – einem dem V-Konzern angehörenden Unter-nehmen mit Sitz in D. Sie stand im Wettbewerb zur V K B GmbH. Diese bezog ihre Schienen für die Auftragsabwicklung in Deutschland von der V S GmbH, die ein Schienenwerk in Ö betreibt.
Der 1950 geborene Kläger war seit August 1967 bei der Beklagten und ihrer Rechtsvorgängerin tätig. Seit 1993 war er Leiter des Verkaufsbüros B. Zu seinen Aufgaben gehörte die Bestellung von Baumaterialien zur Durchführung von Kundenaufträgen. Sein Bruttomonatsverdienst belief sich zuletzt auf rund 15.300,00 Euro.
Im Jahr 2001 schloss die Beklagte mit der TSTG einen Rahmenvertrag über die Belieferung von Schienen. Daneben existierte zwischen einzelnen Mit-arbeitern dieser beiden Unternehmen sowie Mitarbeitern der V K B GmbH und der V S GmbH ein „Absprachesystem“ über den Vertrieb von Schienen an Nah-verkehrskunden, Regionalbahnen, Industriebahnen und Bauunternehmen, die entsprechende Produkte angefragt oder eine Ausschreibung gemacht hatten. Danach sollte die Beklagte den Vertrieb der TSTG – im Widerspruch zu dem bestehenden Rahmenvertrag – nahezu exklusiv abwickeln. Gegenstand der Ab-sprachen waren außerdem Abstimmungen über anzubietende Preise, um hier-über die Auftragsvergabe potentieller Kunden an die Wettbewerber zu steuern. Ob der Kläger an derartigen Abmachungen beteiligt war, ist zwischen den Par-teien streitig.
Im Jahr 2003 beauftragte die D AG eine Arbeitsgemeinschaft (ARGE) mit Gleisbauarbeiten für die Strecke H/B. Zu den Baumaterialien, die von der Beklagten geliefert werden sollten, gehörten sog. Zwischenlagen. Dabei handelt es sich um Teile, die Schienen mit Schwellen verbinden. Der Kläger bestellte Zwischenlagen bei verschiedenen Herstellern. Wenigstens 80.000 Stück order-te er bei der Firma S C SRL (im Folgenden: C) – einem in Rumänien ansässi-gen Unternehmen. Jedenfalls im Zeitpunkt ihrer Bestellung waren die Zwi-schenlagen durch die D AG nicht zugelassen oder zertifiziert. Auch waren die in Rumänien georderten Produkte etwas teurer als die daneben bei deutschen Herstellern angeforderten – und bereits zertifizierten – Zwischenlagen.
Von den bei C bestellten Zwischenlagen wurden 20.000 Stück an eine deutsche Firma, die Baumaterialien für die ARGE lagerte, geliefert und seitens der ARGE bezahlt. Verbaut wurde im Rahmen des Projekts H/B jedoch keine einzige von ihnen. Zollamtlich wurde darüber hinaus die Einfuhr weiterer Zwi-schenlagen aus Rumänien bescheinigt.
C stellte der Beklagten in den Jahren 2003 und 2004 drei Rechnungen über die Lieferung von insgesamt 80.000 Zwischenlagen, die einen Gesamt-preis von 74.000,00 Euro auswiesen. Die Forderungen wurden, nachdem sie im
Verkaufsbüro B vorgeprüft und durch die Sekretärin des Klägers paraphiert worden waren, aus der Zentrale der Beklagten in E beglichen.
Im Rahmen interner Recherchen stieß die Beklagte Ende des Jahres 2010 auf den Vorgang „C“. Mit dem Kläger führte sie hierüber am 24. Januar, am 4. und am 9. Februar 2011 Gespräche. Am 11. Februar 2011 hörte sie den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Klägers an, von der sie im Zuge von Verhandlungen der Parteien über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags wieder Abstand nahm. Nach Scheitern dieser Bemü-hungen und erneuter Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Ar-beitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 9. März 2011 ordentlich zum 31. Dezember 2011. Dagegen erhob der Kläger fristgerecht die vorliegende Klage.
Am 5. Juli 2012 erließ das Bundeskartellamt wegen kartellrechtswidri-gen Verhaltens von Mitarbeitern und organschaftlichen Vertretern der Beklagten im Zusammenhang mit dem Komplex „D Schiene“ einen Bescheid über ein Bußgeld von 103 Millionen Euro. Mit Bescheid vom 18. Juli 2013 setzte es zusätzlich ein Bußgeld in Höhe von 88 Millionen Euro fest. In diesem – zweiten – Bescheid ist der Kläger in seiner Eigenschaft als Leiter des Ver-kaufsbüros B als mutmaßlicher Beteiligter an wettbewerbswidrigen Absprachen namentlich genannt. Die Staatsanwaltschaft Bo führte anschließend gegen ihn strafrechtliche Ermittlungen.
Mit Schreiben vom 12. September 2012 hörte die Beklagte den Kläger ergänzend zu dem Vorwurf an, er habe sich im Zuge des Projekts „A/G“, das er im Jahr 2006 betreut habe, an kartellrechtswidrigen Preisabspra-chen beteiligt. Den Sachverhalt führte sie – nach Anhörung des Betriebsrats – in den vorliegenden Rechtsstreit ein. Mit Schreiben vom 25. September 2012 kündigte sie das Arbeitsverhältnis der Parteien er-neut – nunmehr fristlos. Gegen diese Kündigung erhob der Kläger Klage in ei-nem eigenständigen, derzeit ausgesetzten Verfahren.
Der Kläger hat geltend gemacht, die Kündigung vom 9. März 2011 sei weder als Tat- noch als Verdachtskündigung gerechtfertigt. Die bei C georder-ten Zwischenlagen seien vollständig geliefert und lediglich wegen geänderter Anforderungen der D AG nicht verwendet worden. Die rumänische Firma habe bei Auftragserteilung schriftlich bestätigt, sie werde die erforderliche Zertifizie-rung erhalten. Darauf habe er vertrauen und überdies annehmen dürfen, an-fängliche Mehrkosten würden sich im Rahmen der von C angestrebten langfris-tigen Geschäftsbeziehung amortisieren. Für die Begleichung der Rechnungen sei er nicht verantwortlich. Deren Prüfung sei in E erfolgt. An kartellrechtswidri-gen Preisabsprachen habe er sich nicht beteiligt. Er habe auch nicht an Ge-sprächen teilgenommen, die solche Absprachen zum Gegenstand gehabt hät-ten. Bei dem Projekt A/G habe er ein Angebot auf der Basis von Preisen abge-geben, die ihm durch die Zentrale der Beklagten vorgegeben worden seien. Soweit die Kündigung auf Verdachtsmomente gestützt werde, sei er zu diesen nicht wirksam angehört worden. Ebenso wenig sei eine ordnungsgemäße An-hörung des Betriebsrats erfolgt.
Der Kläger hat – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – beantragt
1.
festzustellen, dass die Kündigung vom 9. März 2011 unwirksam ist und hierdurch das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst worden ist;
2.
die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräfti-gen Abschluss des Verfahrens zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Leiter des Verkaufsbüros B weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgebracht, der Kläger habe sich im Zusammenhang mit der Bestellung der Zwischenlagen bei C der Untreue schuldig gemacht, zumindest bestehe ein dahingehender Verdacht. Die Materialien seien nicht benötigt und qualitativ völlig unbrauchbar gewesen. Bereits vor der Auftragsvergabe sei eine ausreichende Menge an zertifizierten Zwischenlagen bei anderen Herstellern geordert worden. Dies sei dem Kläger bekannt gewesen. Im Übrigen widerspreche es einem ordnungs-gemäßen Geschäftsgebaren, Materialien einzukaufen, die teurer als üblich seien. Nachvollziehbare Gründe dafür habe der Kläger nicht benannt. Seine an-fängliche Einlassung, er habe die Produkte zu Prüfzwecken geordert, sei mit Blick auf die bestellte Menge nicht glaubhaft. Wenigstens 60.000 Zwischenla-gen seien überhaupt nicht geliefert worden. Allein daraus sei ihr ein Schaden iHv. 54.000,00 Euro entstanden. Dem Kläger sei bekannt gewesen, dass in der Zentrale keine sachliche Prüfung von Rechnungen mehr erfolge, wenn die-se – wie im Streitfall geschehen – durch das Verkaufsbüro abgezeichnet worden seien. Ein möglicher Anspruch auf Nachlieferung der Zwischenlagen sei wert-los, da sie keine Chance hätten, zertifiziert zu werden. Sämtliche Indizien sprä-chen dafür, dass der Kläger im Zusammenhang mit dem Vorgang „C“ vorsätz-lich seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt und ihr – der Beklagten – be-wusst Schaden zugefügt habe. Auf die Motive des Klägers komme es nicht an.
Ein weiterer Kündigungsgrund liege in der Beteiligung des Klägers an wettbewerbswidrigen Handlungen. Der Kläger habe zumindest gegen seine Verpflichtung verstoßen, ihr gegenüber entsprechende, ihm bekannt gewordene Verstöße zu offenbaren. Im Zusammenhang mit dem Projekt A/G habe ein Tref-fen zwischen Vertretern verschiedener Firmen stattgefunden, an dem der Klä-ger teilgenommen habe. Gemäß einer dort getroffenen Absprache habe die V K B GmbH etwa 50.000,00 Euro als Kompensation dafür erhalten sollen, dass sie das Projekt nicht übernehme. Der Betrag sei nicht ausgezahlt, sondern mit an-deren „Kompensationen“ verrechnet worden. Von diesen Umständen habe sie zwar erst im Lauf des Prozesses Kenntnis erlangt, sie hätten aber bei Kündi-gungszugang im März 2011 objektiv schon vorgelegen.
Sie habe dem Kläger außerhalb des Rechtsstreits ausreichend Gele-genheit zur Äußerung gegeben. Einer Anhörung des Betriebsrats habe es we-gen dessen Stellung als leitender Angestellter iSv. § 5 Abs. 3 BetrVG nicht be-durft. Gleichwohl habe sie den Betriebsrat über die Kündigungsgründe – auch den nachgeschobenen Sachverhalt – vorsorglich und inhaltlich umfassend un-terrichtet.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision ver-folgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage – soweit noch rechtshängig – abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist begründet. Mit der bisherigen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht der Klage – soweit sie in der Revision zur Ent-scheidung angefallen ist – nicht stattgeben (I.). Auf der Grundlage der bisheri-gen Feststellungen kann der Senat nicht abschließend beurteilen, ob das Ar-beitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 9. März 2011 aufgelöst worden ist. Dies führt – im Umfang der Anfechtung – zur Aufhebung des Beru-fungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO) (II.).
I. Die bisherigen Feststellungen tragen nicht das Ergebnis, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 KSchG.
1. Eine Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 2 KSchG durch Gründe im Verhal-ten des Arbeitnehmers „bedingt“, wenn dieser seine Vertragspflichten erheblich – in der Regel schuldhaft – verletzt hat und eine dauerhafte störungsfreie Ver-tragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten ist. Dann kann dem Risiko künftiger Störungen nur durch die – fristgemäße – Beendigung des Arbeitsver-hältnisses begegnet werden. Das wiederum ist nicht der Fall, wenn schon mil-dere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wä-ren, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken. Im Vergleich mit einer fristgemäßen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere Verset-zung und Abmahnung in Betracht. Ein in diesem Sinne kündigungsrelevantes Verhalten liegt nicht nur dann vor, wenn der Arbeitnehmer eine Hauptpflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletzt hat. Auch die erhebliche Verletzung einer vertrag-lichen Nebenpflicht kann eine Kündigung sozial rechtfertigen (BAG 10. April
2014 – 2 AZR 684/13 – Rn. 13 mwN; 11. Juli 2013 – 2 AZR 994/12 – Rn. 20 mwN).
2. Auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann eine Kündigung iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingen. Ein solcher Verdacht stellt gegen-über dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenstän-digen Kündigungsgrund dar (BAG 21. November 2013 – 2 AZR 797/11 – Rn. 16, BAGE 146, 303).
a) Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn starke, auf objektive Tatsachen gründende Verdachtsmomente vorliegen, die geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (BAG 23. Mai 2013 – 2 AZR 102/12 – Rn. 20; 21. Juni 2012 – 2 AZR 694/11 – Rn. 21, BAGE 142, 188). Der Verdacht muss auf konkrete – vom Kündigenden darzulegende und ggf. zu be-weisende – Tatsachen gestützt sein. Er muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine Kündigung nicht zu rechtferti-gen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen nicht aus (BAG 23. Mai 2013 – 2 AZR 102/12 – Rn. 21; 21. Juni 2012 – 2 AZR 694/11 – aaO; 24. Mai 2012 – 2 AZR 206/11 – Rn. 17).
b) Eine Verdachtskündigung ist auch als ordentliche Kündigung nur ge-rechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, frist-lose Kündigung gerechtfertigt hätten. Dies gilt zum einen für die Anforderungen an die Dringlichkeit des Verdachts als solchen. In dieser Hinsicht bestehen kei-ne Unterschiede zwischen außerordentlicher und ordentlicher Kündigung. Für beide Kündigungsarten muss der Verdacht gleichermaßen erdrückend sein. Dies gilt zum anderen für die inhaltliche Bewertung des fraglichen Verhaltens und die Interessenabwägung. Auch im Rahmen von § 1 Abs. 2 KSchG müssen sie zu dem Ergebnis führen, dass das Verhalten, dessen der Arbeitnehmer verdächtig ist, – wäre es erwiesen – sogar eine sofortige Beendigung des Arbeits-verhältnisses gerechtfertigt hätte. Nur unter dieser Voraussetzung ist die Kündi-gung schon durch den bloßen Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens „bedingt“ (BAG 21. November 2013 – 2 AZR 797/11 – Rn. 32, BAGE 146, 303).
3. Von diesen Grundsätzen ist das Landesarbeitsgericht zwar im Aus-gangspunkt – zutreffend – ausgegangen. Es hat sie aber nicht fehlerfrei auf den Streitfall zur Anwendung gebracht. Das gilt schon für seine Annahme, das Ver-halten des Klägers im Zusammenhang mit dem Geschäftsvorgang „C“ rechtfer-tige selbst eine Verdachtskündigung nicht.
a) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Auffassung des Lan-desarbeitsgerichts, wegen der Bestellung der Zwischenlagen komme allenfalls eine Verdachtskündigung in Betracht. Die Beklagte greift dies nicht an. Ein ma-terieller Rechtsfehler ist auch objektiv nicht erkennbar. Die Beklagte hat sich für ihre Behauptung, der Kläger habe mit der Bestellung unnützer und untauglicher Zwischenlagen ihren Vermögensinteressen bewusst zuwider gehandelt, auf Indizien berufen. Das Landesarbeitsgericht war in den Grenzen des § 286 ZPO frei in der Beurteilung, welche Beweiskraft es den behaupteten Hilfstatsachen im Einzelnen und in der Gesamtschau für seine Überzeugungsbildung beimisst (vgl. allgemein zum Indizienbeweis BAG 18. Juni 2015 – 2 AZR 480/14 – Rn. 35; 23. Oktober 2014 – 2 AZR 865/13 – Rn. 43). Es hat auf der Grundlage schon des Vorbringens der Beklagten für nicht erwiesen erachtet, dass der Kläger tat-sächlich – im Sinne einer nachgewiesenen Pflichtverletzung – vorsätzlich deren Vermögensinteressen zuwider gehandelt und diese bewusst geschädigt habe. Mit dieser Würdigung hat es den ihm zukommenden tatrichterlichen Beurtei-lungsspielraum nicht überschritten.
b) Das Landesarbeitsgericht hat mit Recht angenommen, das in Rede stehende mögliche Verhalten des Klägers sei grundsätzlich geeignet, sogar eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Handelt der Arbeitnehmer bewusst den Vermögensinteressen seines Arbeitgebers zuwider, liegt darin ei-ne erhebliche Pflichtverletzung, die den Arbeitgeber – unterstellt, sie läge vor – grundsätzlich zur Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt. Gleiches
gilt, wenn der Arbeitnehmer zumindest bedingt vorsätzlich gegen seine aus § 241 Abs. 2 BGB abzuleitende Pflicht verstößt, im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren drohende Schäden vom Arbeitgeber abzuwenden (zu dieser Pflicht vgl. BAG 27. November 2008 – 2 AZR 193/07 – Rn. 35; 28. August 2008 – 2 AZR 15/07 – Rn. 21 mwN). Darauf, ob die Pflichtverletzung, auf die sich der Verdacht bezieht, als Untreue (§ 266 StGB) strafbar wäre, kommt es nicht an. Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten kann einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden (BAG 8. Mai 2014 – 2 AZR 249/13 – Rn. 20; 21. Juni 2012 – 2 AZR 694/11 – Rn. 21 mwN, BAGE 142, 188).
c) Rechtsfehlerfrei hat das Landesarbeitsgericht außerdem angenommen, ein die Kündigung rechtfertigender, dringender Verdacht ergebe sich nicht aus der Behauptung der Beklagten, der Kläger habe die Bezahlung aller georderten Zwischenlagen veranlasst, obwohl deren überwiegender Teil gar nicht geliefert worden sei. Ebenso wenig ist es zu beanstanden, dass das Landesarbeitsge-richt die weitere Behauptung der Beklagten, der Kläger habe die Bestellungen ausgelöst, obwohl im Rahmen des Bauvorhabens kein Bedarf an weiteren Zwi-schenlagen bestanden habe, als nicht tragfähig angesehen hat. Die Beklagte hat insoweit ihrer Darlegungslast nicht genügt.
aa) Der Arbeitgeber trägt im Kündigungsschutzprozess die Darlegungs- und Beweislast auch dafür, dass solche Tatsachen nicht vorgelegen haben, die das Verhalten des Arbeitnehmers gerechtfertigt oder entschuldigt erscheinen lassen. Der gebotene Umfang der Darlegungen hängt davon ab, wie sich der Arbeitnehmer auf den anfänglichen Vortrag des Arbeitgebers einlässt. Nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast darf sich der Arbeitgeber zunächst darauf beschränken, den objektiven Tatbestand einer Ar-beitspflichtverletzung aufzuzeigen. Er muss nicht jeden erdenklichen Rechtferti-gungs- oder Entschuldigungsgrund vorbeugend ausschließen (BAG 3. November 2011 – 2 AZR 748/10 – Rn. 23; LAG Rheinland-Pfalz 3. Juli 2014 – 5 Sa 27/14 -). Vielmehr ist es regelmäßig Sache des Arbeitnehmers, einen solchen Grund ins Verfahren einzuführen.
bb) Eine sekundäre Darlegungslast der primär nicht darlegungsbelasteten Partei kommt dann in Betracht, wenn es dieser zuzumuten ist, ihrem Prozess-gegner die Darlegung der nur zu ihrem Wahrnehmungsbereich gehörenden Verhältnisse durch nähere Angaben zu ermöglichen, weil sie, anders als der außerhalb des fraglichen Geschehensablaufs stehende Gegner, die wesentli-chen Tatsachen kennt (BAG 21. Juni 2012 – 2 AZR 694/11 – Rn. 52, BAGE 142, 188; 18. September 2008 – 2 AZR 1039/06 – Rn. 31; 28. August 2008 – 2 AZR 15/07 – Rn. 23). Kommt der sekundär Darlegungspflichtige in einer solchen Prozesslage seiner Vortragslast nicht nach, gilt die Behauptung des primär Dar-legungspflichtigen iSd. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (BAG 18. September 2008 – 2 AZR 1039/06 – aaO). An die sekundäre Behauptungslast des gekün-digten Arbeitnehmers dürfen allerdings keine überzogenen Anforderungen ge-stellt werden. Sie dient lediglich dazu, es dem kündigenden Arbeitgeber als primär darlegungspflichtiger Partei zu ermöglichen, weitere Nachforschungen anzustellen und ggf. seinerseits substantiiert zum möglichen Entlastungsgrund vorzutragen und Beweis für sein Nichtvorliegen anzutreten. Genügt das Vor-bringen des Arbeitnehmers diesen Anforderungen, ist es Sache des Arbeitge-bers, den geltend gemachten Kündigungsgrund nachzuweisen (BAG 18. September 2008 – 2 AZR 1039/06 – Rn. 33).
cc) Nach diesen Maßstäben hat das Landesarbeitsgericht die Darlegungs-last der Beklagten weder grundlegend verkannt, noch hat es überzogene An-forderungen an ihren Sachvortrag gestellt. Zu Recht hat es die Auffassung ver-treten, die Beklagte habe zum Umfang der Lieferungen und zum Verbleib der Zwischenlagen weiter vortragen müssen. Es ist nicht dargetan, weshalb es die-ser nicht möglich oder zumutbar gewesen wäre, der – von ihm in das Wissen eines Zeugen gestellten – Behauptung des Klägers weiter nachzugehen, alle georderten Zwischenlagen seien bei einer konkret bezeichneten Drittfirma an-gekommen und dort für die ARGE eingelagert worden. Entsprechendes gilt für das Vorbringen der Beklagten, für die Bestellung von Zwischenlagen in der bei C georderten Menge habe von vorneherein kein Bedarf bestanden. Diesem Vorwurf ist der Kläger mit der Behauptung entgegen getreten, die D AG habe sich erst nach der Beauftragung von C entschieden, keine hochelastischen
Zwischenlagen zu verwenden; solche habe er in Rumänien aber bestellt. Zwar hat der Kläger zu diesem Sachverhalt keine näheren Einzelheiten vorgetragen. Dies ist aber unschädlich. Das Vorbringen der Beklagten lässt nicht erkennen, dass es ihr unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre, den Sachverhalt an-hand der ihr zur Verfügung stehenden Unterlagen weiter aufzuklären. Das gilt umso mehr, als ihr – wovon das Landesarbeitsgericht – rügelos – ausgegangen ist – die auf Seiten der ARGE verantwortlichen Verhandlungspartner des Klä-gers bekannt sind. Vor diesem Hintergrund ist eine andere Bewertung auch nicht deshalb angezeigt, weil der Kläger zur Begründung dafür, weshalb die rumänischen Zwischenlagen sukzessive bestellt worden seien, vorgebracht hat, während der Bauphase der Strecke H/B sei festgestellt worden, dass die an-fänglich bei anderen Herstellern georderte Menge an Zwischenlagen nicht aus-reichen werde. Das Vorbringen steht nicht in einem unauflöslichen Widerspruch zu der nachfolgenden Einlassung des Klägers, die zusätzlich angeforderten Teile seien am Ende wegen einer veränderten Planung doch nicht benötigt worden.
dd) Soweit die Beklagte die Würdigung ihres Vorbringens zum Umfang der Lieferungen und zu einem von der ARGE angemeldeten Zusatzbedarf an Zwi-schenlagen mit Verfahrensrügen nach § 286 ZPO angreift, erachtet der Senat diese – nach Prüfung – nicht für durchgreifend. Von einer näheren Begründung wird gemäß § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
d) Nicht frei von formellen Rechtsfehlern ist jedoch die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Verdachtskündigung sei auch vor dem Hintergrund der Behauptung der Beklagten nicht gerechtfertigt, der Kläger habe die Zwi-schenlagen bei C bestellt, obwohl sie mangels Zertifizierung bei dem Bauvor-haben keine Verwendung hätten finden können.
aa) Das Vorbringen ist nicht von vorneherein unbeachtlich. Das Landesar-beitsgericht geht selbst davon aus, dass die Verdachtskündigung „an sich“ be-gründet wäre, wenn der Kläger die rumänischen Zwischenlagen im Bewusst-sein bestellt hätte, eine rechtzeitige, den Anforderungen der D AG genügende Zertifizierung sei nicht gesichert. Die Erwägung trifft zu. Unterstellt, die von C
angebotenen Zwischenlagen wären objektiv ungeeignet gewesen und der Klä-ger hätte dies im Zeitpunkt der Auftragsvergabe positiv gewusst oder zumindest billigend in Kauf genommen, läge darin ein gewichtiges Indiz, das jedenfalls den dringenden Verdacht einer vorsätzlichen – schadensgleichen – Gefährdung des Vermögens der Beklagten zu begründen vermöchte. Zum anderen läge es vor diesem Hintergrund – auch angesichts des Preises der rumänischen Produkte und der Zertifizierung anderer am Markt verfügbarer Zwischenlagen – nahe an-zunehmen, dass die Auftragsvergabe an C von sachfremden Erwägungen des Klägers getragen war. Dem steht nicht entgegen, dass es keine konkreten An-haltspunkte für eine persönliche Vorteilsnahme gibt.
bb) Danach durfte das Landesarbeitsgericht nicht annehmen, ein möglicher Verdacht richte sich auch mit Blick auf die Qualität der in Rumänien georderten Zwischenlagen nicht auf eine schwerwiegende Vertragspflichtverletzung. Die Beklagte rügt mit Recht, die Würdigung beruhe auf einer Verletzung ihres An-spruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).
(1) Art. 103 Abs. 1 GG sichert – iVm. Art. 2 Abs. 1 GG und dem in Art. 20 Abs. 3 GG gewährleisteten Rechtsstaatsprinzip – den Anspruch einer Partei auf rechtliches Gehör vor Gericht und das mit ihm im Zusammenhang stehende Recht auf Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes und fairen Pro-zesses. Dies gebietet ein Ausmaß an rechtlichem Gehör, das sachangemessen ist, um den in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten bestehenden Anforderungen an einen solchen Rechtsschutz gerecht zu werden. Zu den insoweit unerlässli-chen Verfahrensregeln gehört, dass das Gericht über die Richtigkeit streitiger Tatsachenbehauptungen nicht ohne hinreichende Prüfung entscheidet. Ohne eine solche Prüfung fehlt es an einer dem Rechtsstaatsprinzip genügenden Entscheidungsgrundlage (vgl. BVerfG 21. Februar 2001 – 2 BvR 140/00 – zu III 1 a der Gründe; BAG 10. März 2015 – 3 AZR 56/14 – Rn. 57 mwN).
(2) Im Streitfall ist der Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt.
(a) Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, von einer vorsätzlichen, den Vermögensinteressen der Beklagten zuwider laufenden Handlung des Klägers könne nicht ausgegangen werden. Die Beklagte habe es versäumt aufzuzeigen, dass der Kläger über einschlägige Erfahrungen mit dem Zertifizierungsverfah-ren verfüge und deshalb nicht auf Zusicherungen der rumänischen Firma habe vertrauen dürfen, es werde in dieser Hinsicht keine Schwierigkeiten geben.
(b) Damit hat es seiner Entscheidung ohne Weiteres die Behauptung des Klägers zugrunde gelegt, die betreffende Firma habe ihm die Zertifizierungsfä-higkeit zugesichert, obwohl die Beklagte eine solche Erklärung ausdrücklich in Abrede gestellt hatte. Es hat damit streitiges Vorbringen als unstreitiges behan-delt.
(aa) Der Kläger hatte behauptet, das rumänische Unternehmen habe bei den Vertragsverhandlungen schriftlich bestätigt, dass es die Zulassung gemäß „UIC-Kodex“ besitze und die „D-Zulassung“ als „Q1-Lieferant der D-AG“, wenn es sie beantrage, sofort erhalten werde. Das Landesarbeitsgericht hat diese Behauptung im Tatbestand seiner Entscheidung als streitig dargestellt.
(bb) Der gleichfalls als streitig angeführte Gegenvortrag der Beklagten ist im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast schlüssig. Die Beklagte hatte geltend gemacht, die Unterlagen zum Projekt H/B seien nach Schließung der Nieder-lassung B komplett in die Niederlassung Ha verbracht und dort archiviert wor-den. In den Akten sei kein Hinweis auf eine entsprechende „Zusicherung“ der rumänischen Firma zu finden. Hierfür hatte sie sich auf das Zeugnis einer Mit-arbeiterin berufen, die von ihr beauftragt worden sei, die Schriftstücke auf die Behauptung des Klägers hin zu sichten. Vor diesem Hintergrund durfte das Landesarbeitsgericht nicht ohne weitere Sachaufklärung annehmen, die umstrit-tene schriftliche Bestätigung habe es tatsächlich gegeben. Das gilt umso mehr, als der Kläger sich nicht etwa darauf berufen hat, er habe die fragliche Zusage nicht zu den Akten genommen.
II. Der Rechtsfehler ist entscheidungserheblich. Der Senat kann mangels ausreichender Sachaufklärung nicht abschließend beurteilen, ob die Klage begründet ist. Dies führt zur Zurückverweisung. Das angefochtene Urteil stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).
1. Das Landesarbeitsgericht hat – ausgehend von der vermeintlichen Zusicherung – angenommen, die Vereinbarungen mit C könnten ein „Risikoge-schäft“ sein, bei dessen Abschluss der Kläger lediglich – wenn auch grob fahr-lässig – seine Pflicht verletzt habe, die Wahrscheinlichkeit einer Verwirklichung der Risiken hinreichend sorgfältig zu prüfen. Es ist deshalb nicht auszuschlie-ßen, dass das Landesarbeitsgericht zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre, wenn sich die Behauptungen über die Zusagen des rumänischen Unter-nehmens als unzutreffend erwiesen hätten. Soweit es dem Kläger angesichts vorhandener „Unschärfen“ in seinem Sachvortrag den zeitlichen Abstand zu dem Geschehen und eine darauf beruhende „Verblassung“ seines Erinne-rungsvermögens zugutegehalten hat, entspricht eine solche Annahme zwar der allgemeinen Lebenserfahrung (vgl. dazu bspw. BGH 13. Dezember 2012 – I ZR 182/11 – Rn. 38; 9. Juli 2007 – II ZR 222/06 – zu 1 der Gründe; Baumgärtel/ Laumen/Prütting Handbuch der Beweislast – Grundlagen 2. Aufl. § 5 Rn. 46). Die Ausführungen des Urteils zu den möglichen Erinnerungslücken beziehen sich aber nicht – zumindest nicht zweifelsfrei – auf die Zusagen zur Zertifizie-rungsfähigkeit der rumänischen Zwischenlagen, wie sie der Kläger behauptet hat. Andernfalls wäre nicht nachvollziehbar, worin die „Unschärfen“ bestehen sollten. Der Kläger hat klar die Position bezogen, es habe eine schriftliche Be-stätigung der Zertifizierungsfähigkeit gegeben, und er hat deren Details geschil-dert. Sollte sich ein entsprechendes Schriftstück nicht bei den Akten befinden, wäre es – im Rahmen der ihn treffenden sekundären Darlegungslast – zunächst Sache des Klägers gewesen aufzuzeigen, wann ungefähr und durch welche Person die Bestätigung erfolgt sein soll. Zumindest hätte er seine maßgeben-den Gesprächspartner benennen müssen, um der Beklagten weitergehende Nachforschungen zu ermöglichen. Dieser wäre es dann unbenommen geblie-ben, sich für ihre Behauptung, die fragliche Zusage habe es nie gegeben, auf das Zeugnis der betreffenden Personen zu berufen (zu einer solchen Möglich-keit vgl. BAG 18. September 2008 – 2 AZR 1039/06 – Rn. 33 mwN). Die Fest-stellungen des Landesarbeitsgerichts lassen nicht erkennen, dass der Kläger
seiner Vortragslast unter Ausschöpfung seines Erinnerungsvermögens nachge-kommen wäre.
2. Das Landesarbeitsgericht hat sich mit der Frage, ob die Beklagte den Kläger vor der Kündigung ordnungsgemäß zu dem gegen ihn erhobenen Ver-dacht angehört hat, nicht befasst. Ebenso wenig hat es Feststellungen dazu getroffen, ob der Betriebsrat – unterstellt, es hätte mit Blick auf § 5 Abs. 3, Abs. 4 BetrVG seiner Unterrichtung bedurft – nach § 102 BetrVG ordnungsge-mäß zur Kündigung angehört worden ist. Dies wird es ggf. nachzuholen haben. Eine Unwirksamkeit der Kündigung drängt sich dabei unter beiden Gesichts-punkten nicht auf.
3. Kommt es auf den nachgeschobenen Kündigungsgrund an, ist auch die ihn betreffende Würdigung des Landesarbeitsgerichts nicht frei von Rechtsfeh-lern.
a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die durchgeführte Beweis-aufnahme habe nicht den erforderlichen Beweis dafür erbracht, dass der Kläger an einem „Kompensationsgeschäft“ zwischen Vertretern ihres Unternehmens und der V K B GmbH – aktiv oder passiv – beteiligt gewesen sei. „Bestätigt“ ha-be sich zwar der Verdacht seiner Beteiligung an „illegalen Preisabsprachen“. Hierauf könne die Beklagte die Kündigung vom 9. März 2011 aber zumindest deshalb nicht stützen, weil ihrem vormaligen Geschäftsführer, der die Kündi-gung erklärt habe, die „Absprachen mit der V Gruppe“ bekannt gewesen seien. In den schon anhängigen Rechtsstreit wiederum habe die Beklagte – jedenfalls mit Blick auf § 102 BetrVG – nur solche Tatsachen als Kündigungsgrund nach-träglich einführen können, die sie im Kündigungszeitpunkt noch nicht gekannt habe.
b) Diese Würdigung steht mit § 1 Abs. 2 KSchG, § 102 BetrVG nicht in Einklang.
aa) Auch in einem Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer Verdachtskündi-gung sind nicht nur die dem Arbeitgeber im Kündigungszeitpunkt bekannten
tatsächlichen Umstände von Bedeutung. Vielmehr können ebenso Umstände, die ihm erst später bekannt wurden, in den Prozess eingeführt werden, zumin-dest dann, wenn sie bei Kündigungszugang objektiv schon gegeben waren. Dies gilt auch für Umstände, die den Verdacht eines eigenständigen – neuen – Kündigungsvorwurfs begründen (vgl. BAG 23. Oktober 2014 – 2 AZR 644/13 – Rn. 21; 23. Mai 2013 – 2 AZR 102/12 – Rn. 25; 6. September 2007 – 2 AZR 264/06 – Rn. 21). Da es für die Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung allein auf die objektive Rechtslage zum Zeitpunkt ihres Zugangs an-kommt und der Arbeitgeber weder nach § 1 KSchG noch nach § 626 Abs. 1 BGB zur (abschließenden) Angabe der Kündigungsgründe verpflichtet ist, erge-ben sich aus dem KSchG oder dem BGB für ein Nachschieben von Kündi-gungsgründen grundsätzlich keine Beschränkungen, auch nicht aus § 626 Abs. 2 BGB (vgl. BAG 23. Mai 2013 – 2 AZR 102/12 – Rn. 33; 11. April 1985 – 2 AZR 239/84 – zu B I 1 der Gründe, BAGE 49, 39; KR/Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 245; SES/Schwarze KSchG § 1 Rn. 68; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 95). Ohne Bedeutung ist insbesondere, ob ein sachlicher oder zeitlicher Zusam-menhang mit den schon bekannten Kündigungsgründen besteht (vgl. BAG 18. Januar 1980 – 7 AZR 260/78 – zu 2 b der Gründe).
bb) Soweit vor Ausspruch der Kündigung eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG erforderlich ist, ist ein Nachschieben von Kündigungsgrün-den, die dem Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung bereits bekannt waren, von denen er dem Gremium aber keine Mitteilung gemacht hat, unzulässig. Das hat zur Folge, dass diese Gründe im schon laufenden Kündigungsschutzpro-zess keine Berücksichtigung finden können. Dies folgt aus Sinn und Zweck des Anhörungsverfahrens. Dem Betriebsrat soll Gelegenheit gegeben werden, vor Erklärung der Kündigung auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers im Hinblick auf die diesem bekannten und deshalb seine Absicht beeinflussenden Umstände einzuwirken. Diesem Zweck widerspricht es, dem Arbeitgeber zu gestatten, sich im späteren Kündigungsschutzprozess auf „neue“ Gründe zu berufen, die zwar seinen Kündigungsentschluss womöglich mit beeinflusst ha-ben, hinsichtlich derer er jedoch dem Betriebsrat keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hatte (BAG 16. Dezember 2010 – 2 AZR 576/09 –
Rn. 11; grundlegend 11. April 1985 – 2 AZR 239/84 – zu B I 2 a der Gründe, BAGE 49, 39; für die Beteiligung des Personalrats nach § 79 Abs. 1 Satz 1 BPersVG BAG 10. April 2014 – 2 AZR 684/13 – Rn. 21). Gestützt auf erst nach-träglich bekannt gewordene Umstände ist ein Nachschieben von Kündigungs-gründen dagegen möglich, wenn – in analoger Anwendung von § 102 BetrVG – der Betriebsrat zu ihnen angehört worden ist (BAG 23. Mai 2013 – 2 AZR 102/12 – Rn. 32; 11. April 1985 – 2 AZR 239/84 – zu B I 2 b ee der Gründe, BAGE 49, 39).
cc) Für die Beurteilung, ob ein nachgeschobener Sachverhalt dem Arbeit-geber schon im Kündigungszeitpunkt bekannt war, kommt es auf den Wissens-stand des Kündigungsberechtigten an. Zu fordern ist in sachlicher Hinsicht – wie im Rahmen von § 626 Abs. 2 BGB – eine positive, vollständige Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen. In personeller Hinsicht kommt es hier – wie bei § 626 Abs. 2 BGB – auf die entsprechende Kenntnis in der Per-son des Kündigungsberechtigten an. Handelt es sich bei dem Arbeitgeber um eine juristische Person, ist grundsätzlich maßgeblich die Kenntnis des gesetz-lich oder satzungsgemäß für die Kündigung zuständigen Organs (BAG 5. Mai 1977 – 2 AZR 297/76 – zu II 3 der Gründe, BAGE 29, 158). Sind für den Arbeit-geber mehrere Personen gemeinsam vertretungsberechtigt, genügt grundsätz-lich die Kenntnis schon eines der Gesamtvertreter (für die Zurechnung im Rah-men von § 626 Abs. 2 BGB vgl. BAG 28. November 2007 – 6 AZR 1108/06 – Rn. 53, BAGE 125, 70; 20. September 1984 – 2 AZR 73/83 – zu B II 2 a der Gründe, BAGE 46, 386; KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 349).
dd) Ein entsprechendes Wissen muss sich der Arbeitgeber regelmäßig auch dann zurechnen lassen, wenn das Organmitglied oder der sonstige Ver-treter bei der Behandlung des Sachverhalts eigene Pflichten ihm gegenüber verletzt hat (zum Einstehenmüssen der Gesellschaft für satzungswidrige Hand-lungen ihrer Geschäftsführer vgl. BAG 5. April 2001 – 2 AZR 696/99 – zu II 3 der Gründe). Etwas anderes kann gelten, wenn es um die Kenntnis von Handlun-gen geht, die der Vertreter im kollusiven Zusammenwirken mit dem Arbeitnehmer gegen die Interessen der Gesellschaft vorgenommen hat (vgl.
HaKo-KSchR/Gieseler 5. Aufl. § 626 BGB Rn. 136; KR/Fischermeier § 626 BGB Rn. 349, 361, 364).
ee) Im Hinblick auf § 102 BetrVG ist in diesem Zusammenhang zu berück-sichtigen, dass die Einschränkungen, die sich aus dem Anhörungsverfahren für die Möglichkeit des Nachschiebens von Kündigungsgründen ergeben, auch dem Schutz kollektiver Interessen dienen. Sinn und Zweck der Vorschrift des § 102 BetrVG ist es unter diesem Aspekt, den Betriebsrat zu befähigen, sein Anhörungsrecht sachgerecht auszuüben und seinen Einfluss auf die Zusam-mensetzung der Belegschaft zu sichern (BAG 28. August 2003 – 2 AZR 377/02 – zu B I 4 a der Gründe, BAGE 107, 221; 27. Juni 1985 – 2 AZR 412/84 – zu II 1 b der Gründe, BAGE 49, 136). Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn der Vertreter des Arbeitgebers seine Informationen auch intern vollständig weitergibt und die Bereitschaft mitbringt, für eine sachgerechte Un-terrichtung des Betriebsrats Sorge zu tragen. Das ist regelmäßig nicht der Fall, wenn der Vertreter seinerseits in die Handlungen gegen die Interessen des Ar-beitgebers verstrickt ist und bei Offenlegung des Kündigungssachverhalts Nachteile für sich selbst befürchten müsste. Handelt es sich objektiv um eine solche Situation, ist es – auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der ver-trauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG (zu dessen Berücksich-tigung im Rahmen von § 102 BetrVG vgl. BAG 28. August 2003 – 2 AZR 377/02 – aaO; 27. Juni 1985 – 2 AZR 412/84 – zu II 1 c bb der Gründe, aaO) – gerechtfertigt, für die Kenntnis des Arbeitgebers nicht auf den Wissens-stand des „verstrickten“, sondern auf den eines „undolosen“ Vertreters oder Or-ganmitglieds abzustellen. Die Mitwirkungsrechte des Betriebsrats werden dadurch nicht ausgehöhlt, weil er vor einem „Nachschieben“ der Kündigungs-gründe in den Prozess allemal nach § 102 BetrVG anzuhören ist.
ff) Danach ist die vom Landesarbeitsgericht gegebene Begründung nicht tragfähig. Es hat aus den Feststellungen im Bescheid des Bundeskartellamts vom 18. Juli 2013 und aus dem dort erhobenen Vorwurf, ein im Juli 2011 aus der Geschäftsführung ausgeschiedener Geschäftsführer habe zumindest im Zeitraum von 2001 bis Mai 2011 vorsätzlich dem Verbot wettbewerbswidriger
Vereinbarungen zuwider gehandelt, auf eine Kenntnis der Geschäftsführung von der fraglichen „Absprachepraxis“ geschlossen. Außerdem hat es auf das Eingeständnis des früheren Geschäftsführers abgestellt, wonach er „von Ab-sprachen mit der V Gruppe … gewusst habe“. Ob das Landesarbeitsgericht damit gemeint hat, der frühere Geschäftsführer sei selbst in das „Absprachesys-tem“ aktiv oder passiv eingebunden gewesen, ist nicht klar. Ggf. wird es dazu weitere Feststellungen zu treffen haben.
gg) Auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung kommt es indessen nur an, wenn der Kläger kein leitender Angestellter iSd. § 5 Abs. 3 BetrVG war. Andern-falls war der Betriebsrat nicht zu beteiligen. Zu diesem – nach seiner eigenen Begründungslinie erheblichen – Punkt hat das Landesarbeitsgericht bisher keine Feststellungen getroffen, obwohl die Beklagte zur Stellung des Klägers als lei-tender Angestellter – ua. in ihren Schriftsätzen vom 20. März 2013 und vom 4. Juni 2013 – Vortrag gehalten hat. Das Vorbringen ist nach den bisherigen Feststellungen auch nicht etwa von vorneherein unbeachtlich.
c) Das Landesarbeitsgericht hat dahinstehen lassen, ob der nach seiner Überzeugung durch die Beweisaufnahme „bestätigte“ Verdacht einer Beteili-gung des Klägers an illegalen Preisabsprachen hinreichend stark war. Eine ei-gene Beurteilung ist dem Senat schon deshalb verwehrt, weil das Landesar-beitsgericht zu Art und Umfang der fraglichen „Beteiligung“ keine abschließen-den Feststellungen getroffen hat.
aa) Die Mitwirkung eines Arbeitnehmers an einer (Kartell-)Straftat – sei es in Täterschaft oder Teilnahme – ist grundsätzlich geeignet, eine (außerordentliche) Kündigung zu rechtfertigen. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung kommt es entscheidend auf das Gewicht der Pflichtverletzung an, das sich maßgeblich nach Art und Ausmaß der Mitwirkung des Arbeitnehmers bestimmt. Je nach der Qualität der Pflichtverletzung und der Stellung des Arbeitnehmers im Unter-nehmen kann überdies Bedeutung gewinnen, ob er Anlass hatte anzunehmen, die wettbewerbswidrigen Handlungen seien dem Arbeitgeber bekannt und wür-den von ihm ausdrücklich gebilligt oder unterstützt (vgl. BAG 21. Juni 2012
– 2 AZR 694/11 – Rn. 32, BAGE 142, 188; 28. August 2008 – 2 AZR 15/07 – Rn. 22).
bb) In welchem Rahmen der Kläger überhaupt – ggf. außerhalb des Gesprächs aus dem Jahr 2006 – an kartellrechtswidrigen Absprachen beteiligt gewesen sein soll, und ob es unter Berücksichtigung der bei der Beklagten be-stehenden Antikorruptions- und Kartellrichtlinien möglich ist, dass er im Fall sei-ner Beteiligung annehmen durfte, nicht pflichtwidrig zu handeln, ist den bisheri-gen Feststellungen nicht zu entnehmen, unterliegt der tatrichterlichen Würdi-gung und kann der Senat nicht selbst prüfen.
d) Die zahlreichen Verfahrensrügen, mit denen die Beklagte sich gegen die Würdigung des Landesarbeitsgerichts wendet, dem Kläger sei eine aktive Beteiligung an dem von ihr behaupteten „Kompensationsgeschäft“ – im Sinne einer Tat – nicht vorzuwerfen, bedürfen wegen der gebotenen Zurückverwei-sung keiner abschließenden Behandlung. Für das weitere Verfahren sieht sich der Senat lediglich zu folgenden Hinweisen veranlasst:
aa) Es stellt keinen Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze dar, dass das Landesarbeitsgericht nach dem bisherigen Sach- und Streitstand da-von ausgegangen ist, der Kläger könne an dem fraglichen, das Projekt A/G be-treffenden Termin im Jahr 2006 als solchem teilgenommen haben, ohne von Vereinbarungen über die Zahlung einer „monetären“ Kompensation an die V K B GmbH unmittelbar Kenntnis erlangt zu haben. Die Lebenserfahrung zeigt, dass kartellrechtswidrige Absprachen nicht offen erörtert und für jedermann er-kennbar getroffen werden. Es liegt typischerweise im Interesse der an einer solchen Absprache beteiligten Personen, den Kreis der „Eingeweihten“ mög-lichst klein zu halten. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass – nach der Aus-sage des Zeugen K – Gegenstand des Treffens keineswegs allein die Herbei-führung einer wettbewerbswidrigen Absprache gewesen sein soll. Vielmehr soll es – unter anderem – um die Klärung der Fragen gegangen sein, ob genügend Material beschafft und wie der Auftrag durchgeführt werden könne. Der Würdi-gung des Landesarbeitsgerichts, es fehle am Tatnachweis, steht auch nicht die (leitende) Position des Klägers entgegen. Nach seinem – insoweit nicht bestrittenen – Vorbringen hat den Preis für sein Angebot nicht er selbst bestimmt und war an dem Gespräch mit Vertretern der Wettbewerberin mindestens noch ein weiterer Mitarbeiter der Beklagten – der Zeuge W – beteiligt.
bb) Das Landesarbeitsgericht musste die Aussageverweigerung durch den Zeugen W nicht als zwingendes Indiz dafür werten, dass der Kläger an der in Rede stehenden „Kompensationsvereinbarung“ – aktiv oder im Sinne einer be-wussten Duldung – tatsächlich mitgewirkt habe. Aus der Weigerung, vor Gericht Zeugnis abzulegen, kann – für sich genommen – nicht geschlossen werden, die in das Wissen des Zeugen gestellte Behauptung sei wahr. Es kommt allenfalls in Betracht, die Weigerung in Verbindung mit anderen Beweisergebnissen zu würdigen (BGH 21. September 2011 – IV ZR 38/09 – Rn. 18; OLG München 10. November 2009 – 5 U 5130/08 – Rn. 18; Musielak/Voit/Huber ZPO 12. Aufl. § 384 Rn. 2; MüKoZPO/Damrau 4. Aufl. § 384 Rn. 4). Darin sind die Tatsa-chengerichte iSv. § 286 ZPO grundsätzlich frei.
cc) Das Landesarbeitsgericht hat – anders als die Beklagte meint – keine widersprüchlichen Feststellungen getroffen, soweit es einerseits der Auffassung war, es sei nicht erwiesen, dass sich der Kläger in dem fraglichen Gespräch an konkreten Preisabsprachen beteiligt habe, andererseits aber den Verdacht, er sei in solche Absprachen verwickelt gewesen, als „bestätigt“ angesehen hat. Damit hat es lediglich der von ihm für wahr erachteten Teilnahme des Klägers an einem Gespräch mit potentiellen Mitbewerbern der Beklagten über den Auf-trag A/G nicht die Indizwirkung beigemessen, die ihr nach Auffassung der Be-klagten zukommt. Darin liegt kein Verstoß gegen § 286 ZPO.
dd) Das Landesarbeitsgericht hat der namentlichen Erwähnung des Klägers in dem Bescheid des Bundeskartellamts mit Recht eine verdachtsverstärkende Bedeutung zuerkannt. Es musste allein aus ihr aber nicht schließen – und durfte dies nicht einmal -, der Kläger habe sich nachweislich an wettbewerbswidrigen Preisabsprachen beteiligt (vgl. BAG 23. Oktober 2014 – 2 AZR 644/13 – Rn. 21; 25. Oktober 2012 – 2 AZR 700/11 – Rn. 16 mwN, BAGE 143, 244). Ein solcher Schluss könnte allenfalls aus den tatsächlichen Ergebnissen des kartellamtlichen Verfahrens gezogen werden, soweit die Beklagte diese zu ihrem eigenen Vortrag gemacht haben sollte.
III. Der Zurückverweisung unterliegt auch der – als uneigentlicher Hilfsantrag zu verstehende – Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung.