In Sachen
Beklagte, Berufungsbeklagte und Revisionsklägerin,
pp.
Kläger, Berufungskläger und Revisionsbeklagter,
hat der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung
vom 25. Juli 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht
Dr. Freitag, den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Fischermeier, die Richterin am
Bundesarbeitsgericht Marquardt, die ehrenamtlichen Richter Ohl und Thiel für Recht
erkannt:
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Düsseldorf vom 29. Juni 2000 – 5 Sa 591/00 –
wird zurückgewiesen.

Hinweis: Auch Teile der Urteilssammlung sind als Datenbank nach §§ 87a ff. UrhG geschützt.
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! 2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger trotz krankheitsbedingter Ausfallzeiten
die Zahlung einer anteiligen Anwesenheitsprämie verlangen kann.
Der Kläger ist seit dem 20. November 1995 bei der Beklagten als Werkstatthelfer
beschäftigt. Mindestens seit diesem Zeitpunkt zahlt die Beklagte an alle gewerblichen
Arbeitnehmer pro Quartal, dessen Beginn vom jeweiligen Einstellungsdatum
abhängt, eine freiwillige Sonderprämie in Höhe von 500,00 DM. Voraussetzung für
die Zahlung ist, daß im vorausgegangenen Quartal uneingeschränkt Arbeitsleistungen
erbracht wurden. Bei unentschuldigter Abwesenheit oder Zeiten einer krankheitsbedingten
Arbeitsunfähigkeit zahlt die Beklagte die Sonderprämie gar nicht, auch nicht
anteilig.
Im Jahre 1999 war der Kläger vom 11. bis zum 19. Mai krank. Im Hinblick darauf,
daß die Krankheit in das für den Kläger am 14. Mai 1999 endende zweite und das
ab 15. Mai 1999 beginnende dritte Quartal hineinreichte, zahlte die Beklagte zunächst
keine Prämie für beide Quartale, gewährte später jedoch 500,00 DM für das dritte
Quartal. Im vierten Quartal, also in der Zeit vom 15. August bis zum 14. November
1999, erkrankte der Kläger wiederum an sieben Arbeitstagen, worauf er keine Prämie
für diesen Zeitraum erhielt.
Der Kläger verlangt von der Beklagten für beide Quartale eine anteilige Sonderprämie.
Er ist der Auffassung, die Beklagte sei nach den Grundsätzen der betrieblichen
Übung bzw. nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz in Verbindung
mit § 4 a EFZG verpflichtet, die Prämie anteilig zu zahlen.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 361,32 DM brutto zu zahlen
zuzüglich 4 % Zinsen aus jeweils 180,66 DM seit dem 16. Mai
und 16. November 1999.

Hinweis: Auch Teile der Urteilssammlung sind als Datenbank nach §§ 87a ff. UrhG geschützt.
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie meint, die von ihr freiwillig
gewährte Prämie sei keine gemäß § 4 a EFZG im Krankheitsfall anteilig zu zahlende
Sondervergütung. Eine Kürzungsvereinbarung liege nicht vor, da das Fehlen
krankheitsbedingter Ausfallzeiten Tatbestandsvoraussetzung für die Entstehung des
Anspruchs sei. Der Gesetzgeber habe mit dem Begriff „Sondervergütung“ in § 4 a
EFZG nicht alle denkbaren Formen von Prämien gemeint. Erfaßt seien nur solche
Zahlungen, die zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt gezahlt würden, also kein
Äquivalent für die eigentliche Arbeitsleistung darstellten. Da der Anspruch auf die Sondervergütung
nur bei vollständiger Arbeitsleistung entstehe, stehe er mit dieser in unmittelbarem
und untrennbarem Zusammenhang. Es handele es sich daher um eine
äquivalente Leistung. Der Zweck der Sonderleistung, nämlich eine Reduzierung von
Fehlzeiten, könne nur mit einer „Alles-oder-Nichts“-Regelung erreicht werden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat
ihr stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag
weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidunasaründe
Die Revision ist nicht begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung
der anteiligen Anwesenheitsprämie in der geltend gemachten Höhe zu.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen damit begründet,
daß die dem Kläger gemäß § 611 BGB in Verbindung mit der Prämienzusage
zustehende Leistung eine Sondervergütung im Sinne des § 4 a EFZG sei. Der Begriff
der Sondervergütung in dieser Vorschrift sei umfassend zu verstehen. Der Zweck der
Vorschrift bestehe darin, die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur
Zulässigkeit der anteiligen Kürzung von Sonderleistungen wegen krankheitsbedingter
Fehltage gesetzlich zu normieren und etwaige Unklarheiten zu beseitigen. Auch bei
Anwendung des § 4 a EFZG könne die Beklagte ihr verfolgtes Ziel brauchbar und
zweckentsprechend erreichen. Die Prämie könne wegen der Fehltage des Klägers
gekürzt, aber nicht gänzlich verweigert werden.
II. Der Senat folgt dem Landesarbeitsgericht im Ergebnis und in der Begründung.
Der Kläger hat einen der Höhe nach unstreitigen Anspruch auf die anteilige Prämie für

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die beiden Quartale im Jahr 1999, für die die Beklagte die Zahlung verweigert. Der
Anspruch ist zutreffend nach den sich aus § 4 a EFZG ergebenden Kürzungsmöglichkeiten
errechnet.
1. Der Anspruch des Klägers beruht dem Grunde nach auf der Zusage der Beklagten,
viermal jährlich eine Prämie zu zahlen, wenn keine krankheitsbedingten oder
unentschuldigten Fehlzeiten entstehen. Es kann dahinstehen, ob dieser Anspruch auf
betrieblicher Übuhg oder dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz beruht.
Zwischen den Parteien ist nicht streitig, daß der Kläger die Prämie erhalten hätte, wenn
er nicht krank geworden wäre. Die Beklagte beruft sich nicht auf einen generellen Widerruf
der Leistung, sondern nur darauf, daß deren Anspruchsvoraussetzungen nicht
erfüllt seien.
2. Die vom Kläger verlangte Anwesenheitsprämie fällt in den Anwendungsbereich
des § 4 a EFZG.
a) Es handelt sich um eine Sondervergütung im Sinne dieser Vorschrift, da die
Beklagte sie zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt erbringt. Mit der gesetzlichen
Definition der Sondervergütung ist nur klargestellt, daß das laufende Arbeitsentgelt, dh.
die versprochene Vergütung für bestimmte Zeitabschnitte oder die Vergütung für eine
bestimmte Leistung innerhalb einer genau bemessenen Zeit von § 4 a EFZG nicht berührt
wird (ErfK-Dörner EFZG § 4 a Rn. 6).
Unter den gesetzlichen Begriff der Sondervergütungen fallen auch Anwesenheitsprämien.
Hierunter ist eine Geldleistung zu verstehen, mit deren Zusage dem Arbeitnehmer
der Anreiz geboten wird, die Zahl seiner berechtigten oder unberechtigten
Fehltage im Bezugszeitraum möglichst gering zu halten (ErfK-Dörner EFZG § 4 a
Rn. 10). Eine derartige Leistung ist nicht an bestimmte Zahlungsmodalitäten gebunden,
sondern sie kann als Prämie für jeden einzelnen Tag, an dem der Arbeitnehmer seine
Arbeit aufnimmt, gezahlt werden, als Einmalleistung zu einem bestimmten Zeitpunkt,
zB am Jahresende oder – wie hier – viermal jährlich, bezogen auf den davor liegenden
Dreimonatszeitraum.
b) Soweit die Beklagte die Ansicht vertritt, es handele sich nicht um eine Sondervergütung,
sondern um laufendes Entgelt, übersieht sie, daß dann ein Anspruch des
Klägers bereits aus § 3 EFZG bestünde, und eine Minderung oder ein Wegfall der Leistung
auf Grund der Krankheit überhaupt nicht infrage käme.

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c) Während das laufende Entgelt dem unabdingbaren Schutz des § 3 EFZG unterliegt,
sind Sondervergütungen iSd. § 4 a EFZG grundsätzlich einer Kürzungsvereinbarung
zugänglich. Eine solche Kürzungsvereinbarung ist auch der Ausgestaltung der
Anwesenheitsprämie zu entnehmen, wie sie die Beklagte praktiziert. Der völlige Wegfall
der Leistung im Falle eines Krankheitstages, bezogen auf einen Dreimonatszeitraum,
ist eine Kürzung auf null. Dies wird schon daran deutlich, daß dasselbe Ergebnis
erzielt würde, wenn die Beklagte jährlich 2.000,00 DM an Prämie zugesagt hätte, die
sich um 500,00 DM vermindern würde, wenn ein Arbeitnehmer in einem Quartal einen
Tag erkrankt. Eine Kürzung im Sinne des § 4 a EFZG liegt auch dann vor, wenn die
Anspruchsvoraussetzungen so formuliert werden, daß dasselbe Ergebnis wie bei einer
deutlich als solche benannten Kürzungsvereinbarung erzielt wird.
Diese Auslegung der Vorschrift entspricht dem Gesetzeszweck. Die Vorschrift
wurde geschaffen, um die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Kürzung von
Sondervergütungen aufzunehmen und hinsichtlich ihrer Zulässigkeit eindeutig zu regeln.
Die Bestimmung soll Rechtssicherheit für Regelungen in Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen
und einzelvertraglichen Vereinbarungen, auch in Form von Gesamtzusagen
und betrieblicher Übung schaffen (BT-Drucks. 13/4612 S11 und 16; ErfKDörner
EFZG § 4 a Rn. 1). In der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts waren
vor der Gesetzesänderung 1996 Grundsätze über die Zulässigkeit der Kürzung von
Sondervergütungen, welche die Anwesenheit des Arbeitnehmers fördern und honorieren
sollen, aufgestellt worden. Ein völliger Wegfall einer die Anwesenheit steuernden
Prämie im Fall kürzerer Krankheitszeiten wurde als unbillig und die Grenze der Vertragsfreiheit
überschreitend erachtet (BAG 15. Februar 1990 – 6AZR 381/88- BAGE
64, 179; 26. Oktober 1994 – 10AZR 482/93- BAGE 78, 174; 6. Dezember 1995
– 10AZR 123/95- AP BGB §611 Gratifikation Nr. 186 = EzA BGB §242 Gleichbehandlung
Nr. 68). Zweck der gesetzlichen Regelung ist es, einerseits klarzustellen, daß
eine Kürzung von Sondervergütungen auch für krankheitsbedingte Fehltage grundsätzlich
zulässig ist, andererseits jedoch nicht unbeschränkt erfolgen kann. Es soll verhindert
werden, daß bereits geringe krankheitsbedingte Fehlzeiten zu einer unangemessen
hohen Kürzung oder sogar zum Wegfall der gesamten Sondervergütung führen
(BT-Drucks. 13/4612 S 16). Ein völliger Wegfall der Leistung hätte einen Sanktionscharakter,
der nicht mehr vom schutzwerten Interessenbereich des Arbeitgebers gedeckt
wäre.
Diesem Zweck des Gesetzes widerspräche es, wenn durch Formulierung einer
Anspruchsvoraussetzung dieselbe Rechtsfolge erreicht wird, die bei einer Formu-

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lierung als Kürzungsmöglichkeit gesetzlich verboten wäre (vgl. Gola Handkommentar
EFZG 2. Aufl. S 186; aA Bauer/Lingemann BB 1996 Beilage 17 S 8, 14).
d) Mit einer solchen gesetzlich vorgesehenen Abwägung der beiderseitigen Interessen
der Arbeitsvertragsparteien werden keine verfassungsrechtlich relevanten
Rechtspositionen der Beklagten aus Art. 2 oder 14 GG verletzt, da die ebenfalls grundgesetzlich
geschützten sozialen Schutzbelange der einzelnen Arbeitnehmer mit den
Interessen der Vertragsfreiheit des Arbeitgebers in Einklang gebracht werden.
3. Die Beschränkung der Kürzung der Anwesenheitsprämie auf die in § 4 a
EFZG normierten Grenzen führt auch nicht dazu, daß der durch die Beklagte verfolgte
Zweck der Prämienzusage verfehlt würde. Die Beklagte möchte mit der Regelung
Fehlzeiten reduzieren. Ihre Annahme, dies könne nur durch eine „Alles-oder-Nichts“-
Regelung erreicht werden, trifft jedoch nur für den Fall zu, daß die Arbeitnehmer dadurch
veranlaßt werden, eine Krankschreibung in einem Quartal überhaupt zu vermeiden.
Tritt eine Krankheit jedoch ein und fällt dadurch der Anspruch insgesamt weg,
besteht keine Veranlassung mehr, die Zahl der Fehltage möglichst kurz zu halten, wie
dies bei einer anteiligen Kürzung der Fall wäre. Eine Ausschöpfung des Sechs-
Wochen-Zeitraums der Entgeltfortzahlung wäre dann in gleichem Maße schädlich für
den Anspruch auf die Anwesenheitsprämie wie eine eintägige Fehlzeit. Dies widerspräche
gerade dem verfolgten Zweck der Anwesenheitsprämie.
III. Die Beklagte hat die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1
ZPO).