Eine vom Arbeitgeber berechtigterweise ausgesprochene Abmahnung ist nicht geeignet, die Verschleierung des nächsten Vertragspflichtverstoßes zu rechtfertigen.

T a t b e s t a n d

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.

Der Kläger ist 30 Jahre alt. Er war seit dem 29.06.2017 bei der Beklagten als Zerspanungsmechaniker / Betriebsmittelbauer beschäftigt. Vereinbarungsgemäß erhielt er zuletzt ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 2.785,00 EUR. Bei der Beklagten sind mehr als 200 Beschäftigte tätig, ein Betriebsrat ist gewählt.

Der Kläger war am 21.05.2019 zur Frühschicht eingeteilt, die um 6:00 Uhr beginnt. Erst um 6:40 Uhr betrat der Kläger das Betriebsgelände. Dabei unterließ er es, sich in das Zeiterfassungssystem einzustempeln. Später beantragte er mit einem dafür vorgesehenen Formular eine Arbeitszeitkorrektur. Auf dem besagten Formular gab er an, von 6:00 Uhr bis 14:45 Uhr gearbeitet zu haben. Nachdem dieses Verhalten offenkundig geworden war, sprach die Beklagte dem Kläger gegenüber eine Abmahnung aus.

Im Herbst des Jahres 2019 wurde im Betrieb der Beklagten eine außerordentliche Betriebsratswahl eingeleitet, im Rahmen derer der Kläger als Wahlbewerber auftrat. Für zwei Tage, nämlich für den 31.10.2019 und den 04.11.2019, stellte der Kläger erneut fehlerhafte – also von der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit abweichende – Anträge auf Arbeitszeitkorrekturen. Diese begründete er auf den Korrekturformularen unzutreffend mit „Karte vergessen“ bzw. „Stempelfehler“. Am 11.11.2019 wurde der Kläger durch die Beklagte zum Vorwurf angehört, er habe durch die fehlerhaften Korrekturanträge über den Umfang der von ihm geleisteten Arbeitszeit getäuscht. Am 12.11.2019 beantragte die Arbeitgeberin beim Betriebsrat die Zustimmung zu der von ihr beabsichtigten fristlosen Kündigung. Zwei Tage später stimmte der Betriebsrat antragsgemäß zu. Mit Schreiben vom 18.11.2019, am selben Tage beim Kläger zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos.

Mit der seit dem 09.12.2019 beim Arbeitsgericht Aachen anhängigen Klage hat sich der Kläger gegen die ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung gewandt und die Verurteilung der Beklagten zur Weiterbeschäftigung beantragt. Zur Begründung der Klage hat er vorgetragen, er habe sich in einer schwierigen Lebensphase befunden und deshalb unter Schlafstörungen gelitten. Er habe einige Male verschlafen und sei dann zu spät zur Arbeit erschienen. Nach seiner Auffassung sei die Kündigung unverhältnismäßig.

Zur Begründung ihres Klageabweisungsantrages hat die Beklagte vorgetragen, mit der erneuten Falscheintragung der Arbeitszeiten habe der Kläger das Vertrauensverhältnis endgültig zerstört. Der Kläger habe sich beharrlich schwerer Vertragspflichtverstöße schuldig gemacht und sein Verhalten trotz einschlägiger Abmahnung fortgesetzt.

Das Arbeitsgericht Aachen, hat die Klage insgesamt abgewiesen mit der Begründung, mit der fehlerhaften Arbeitszeiteintragung nach einschlägiger Abmahnung liege ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vor, der die vom Kläger angegriffene fristlose Kündigung rechtfertige. Der Schwerpunkt des die Kündigung rechtfertigenden Vertrauensverstoßes liege weniger in der Tatsache, dass der Kläger wiederholt verschlafen habe, sondern vielmehr in der Vertuschung des Zuspätkommens durch die fehlerhaften Eintragungen der Arbeitszeiten in den Korrekturformularen. Angesichts des geringen Lebensalters und der nur kurzen Betriebszugehörigkeit einerseits und des durch die heimliche Vertuschung vertieften Vertrauensverstoßes andererseits, falle die Interessenabwägung zu Ungunsten des Klägers aus. Eine zum Schutz ihrer Vermögensinteressen gleich geeignete und erforderliche Maßnahme, die weniger in die Interessen des Klägers eingreife, sei nicht ersichtlich, die Kündigung damit auch verhältnismäßig.

Gegen dieses ihm am 19.06.2020 zugestellte Urteil hat der Kläger am 09.07.2020 Berufung eingelegt und er hat diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 18.09.2020 begründet.

Der Kläger trägt zur Begründung seiner Berufung vor, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht die Vertuschung des Zuspätkommens in den Vordergrund gestellt. Ihm sei nicht vermittelt worden, er habe eine Kündigung nicht befürchten müssen, wenn er seine Verspätungen nur offen zugebe. Das Gegenteil sei der Fall gewesen. Von seinem Vorgesetzten sei ihm deutlich gemacht worden, dass das Arbeitsverhältnis auf dem Spiel stehe, wenn er noch einmal zu spät zur Arbeit erscheine. Die ihm vorgeworfene Vertuschung sei aus Angst vor der Verwirklichung dieser Ankündigung zu erklären. Insgesamt bleibe er damit bei seiner Einschätzung, dass die fristlose Kündigung unverhältnismäßig sei, zumal es hier nur um geringfügige Arbeitszeitabweichungen gehe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 28.05.2020 – 3 Ca 3949/19 – abzuändern und

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 18.11.2019 nicht beendet wird.

2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unverän-derten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Zer-spanungsmechaniker weiter zu beschäftigen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Dass es nur um geringe Verletzungen der Kernarbeitszeit gehe, lasse den Vertrauensverstoß nicht in besserem Licht erscheinen. Das Gegenteil sei der Fall, denn es sei gerade erschütternd, dass der Kläger selbst bei kleinsten Arbeitszeitverstößen nicht davor zurückschrecke, mit erheblichem Aufwand und krimineller Energie seine Vertragspflichtverletzung zu verschleiern. Dass der Kläger trotz der zuvor erteilten einschlägigen Abmahnung sein Verhalten fortgesetzt habe, rechtfertige die negative Zukunftsprognose, die es ihr unzumutbar mache, den Kläger auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I. Die Berufung des Klägers ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II. Das Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Auf die ausführliche Begründung und die dort genannten Quellen aus Rechtsprechung und Literatur wird gemäß § 69 ArbGG ausdrücklich Bezug genommen und hier deshalb nur noch auf die Berufungsbegründung des Klägers eingegangen.

1. Die fristlose Kündigung ist nicht mangels eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB unwirksam.

a. Die Tatsache, dass die vom Kläger falsch aufgeschriebene Arbeitszeit nur wenige Minuten von der real geleisteten Arbeitszeit abweicht, lässt den Vertragspflichtverstoß der Verschleierung des Fehlverhaltens nicht in einem milderen Licht erscheinen. Denn bei der Frage der Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung geht es nicht um eine repressive Strafzumessung oder Sanktion für begangenes Unrecht in der Vergangenheit, sondern um die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses sowie um die Abwägung von Interessen im Zusammenhang mit der Frage, ob der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Dauerschuldverhältnisses für die Zukunft zumutbar ist (BAG v. 13.12.2018 – 2 AZR 370/18 –). Von einer solchen Zumutbarkeit ist gerade nicht auszugehen, wenn die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer wegen eines gleich gelagerten Verschleierungsversuches bereits abgemahnt hatte und nun feststellen muss, dass der auf diese Weise vorgewarnte Arbeitnehmer erneut versucht sie zu täuschen. Für den Tatbestand der Verschleierung der Pflichtverletzung ist der Wert der Pflichtverletzung wenig relevant. Selbst wenn man den Wert berücksichtigen würde, spräche er eher gegen den Kläger, wie es die Beklagte richtig erkannt hat: Wenn sich nämlich der Kläger schon bei geringfügigen Pflichtverletzungen zu deren Verschleierung hinreißen lässt, ist die Prognose gerechtfertigt, dass dies zukünftig auch bei gewichtigeren Verstößen – und dort erst recht – geschehen wird.

b. Das vom Kläger dargestellte Dilemma ist nicht geeignet, den Vertrauensverstoß zu rechtfertigen. Der Kläger hatte mit seiner Berufungsbegründung geltend gemacht, entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts sei für die Beklagte nicht der Vertrauensverstoß durch die Verschleierung im Fokus gewesen, sondern gleichermaßen das Zuspätkommen; er habe sich aus Angst vor einer Sanktion für das Zuspätkommen erneut zur Verschleierung desselben veranlasst gesehen. Sinngemäß macht der Kläger also geltend, sein Arbeitsverhältnis sei auch bei bloßem Zuspätkommen – ohne Verschleierung desselben – in Gefahr gewesen, deshalb habe die Verschleierung ein probates Mittel sein können, diese Gefahr zu minimieren. Diese Sichtweise wäre nur dann kein Zirkelschluss, wenn die besagte Gefahr von außen auf das Arbeitsverhältnis einwirken oder wenn sich eine Androhung des Arbeitgebers als ungerechtfertigt erweisen würde. Beides ist hier nicht der Fall. Die Auskunft des Vorgesetzten war eine zutreffende Rechtsauskunft: Wiederholte Vertragspflichtverletzungen gefährden den Bestand des Arbeitsverhältnisses. Wäre die Sichtweise des Klägers richtig, könnte jeder Hinweis und jede Abmahnung einer konkreten Pflichtverletzung die Verschleierung der Wiederholung der besagten Pflichtverletzung rechtfertigen. Der Arbeitnehmer würde so seinem Arbeitgeber sagen, der Arbeitgeber müsse zuerst eine Abmahnung aussprechen, bevor er zum letzten Mittel greife und das Arbeitsverhältnis kündige; wenn er aber tatsächlich eine Abmahnung ausgesprochen habe, dann setze er damit einen Rechtfertigungsgrund für die Verschleierung der nächsten Vertragspflichtverletzung. Diese Argumentation ist ein unzulässiger Zirkelschluss, weil sie versucht, pflichtwidriges Verhalten durch den Hinweis auf die Pflichtwidrigkeit zu rechtfertigen. Rechtstreues Verhalten (die Erfüllung der Pflicht aus § 314 Abs. 2 BGB) würde so zur Rechtfertigung des Vertragspflichtverstoßes.

2. Die Tatsache, dass der Kläger Wahlbewerber für die Betriebsratswahl war, führt nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Die Kündigung war nicht gemäß § 103 BetrVG in Verbindung mit § 134 BGB unwirksam, denn der Betriebsrat hat der Absicht der Arbeitgeberin, dem Kläger gegenüber eine fristlose Kündigung auszusprechen, antragsgemäß zugestimmt. Auch § 15 Abs. 3 KSchG steht der Wirksamkeit der Kündigung nicht entgegen, da wie gezeigt die Kündigung durch einen wichtigen Grund gerechtfertigt war.

III. Nach allem bleibt es somit bei der klageabweisenden erstinstanzlichen Entscheidung. Als unterliegende Partei hat der Kläger gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung zu tragen. Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht.